Caritas zur Teuerung: "Wenn Not zunimmt, muss auch Hilfe zunehmen"
"Wenn die Not zunimmt, muss auch die Hilfe zunehmen": Das war der Tenor einer Pressekonferenz zum Start der diesjährigen Caritas-Inlandskampagne, die den Folgen der steigenden Heizkosten und Lebensmittelpreise vor allem für die Einkommensschwachen gewidmet ist. Caritas-Präsident Michael Landau, Caritas-Österreich-Generalsekretärin Anna Parr und die Direktorin Caritas Steiermark, Nora Tödtling-Musenbichler, schilderten die Lage von Menschen, die wegen der Teuerungswelle vor die Alternative "heat or eat" - also Geld fürs Heizen oder Essen auszugeben - stünden und forderten von der Politik Gegenmaßnahmen, die über die bisher getroffenen hinausgehen. Einmalzahlungen etwa nach dem Gießkannenprinzip würden nicht ausreichen, wies Landau hin. Es brauche ein "armutsfestes Sozialnetz".
Die Caritas-Verantwortlichen äußerten sich im Grazer Sozialzentrum Marianum, das wie auch andere Hilfseinrichtungen der Caritas Steiermark von Medienvertretern bei einer Pressefahrt am Mittwoch besucht wurde.
Die neue Kampagne "Mehrkosten. Mehr Hilfe!" soll Spenden zur Unterstützung einer wachsenden Bevölkerungsgruppe erbringen, erklärte Michael Landau. Er zitierte den Fiskalrat, wonach das gesamte untere Einkommensdrittel in Österreich - immerhin 1,4 Millionen Haushalte - von der Rekordinflation hart getroffen werde. "Damit dringt Armut und Armutsgefährdung bis in die Mitte unserer Gesellschaft vor", so der Caritas-Präsident. Betroffen seien auch immer mehr arbeitende Menschen, "die bisher gut alleine zurechtgekommen sind und niemals gedacht hätten, je auf Hilfe angewiesen zu sein". Als Beispiel für die Sorgen vieler angesichts des herannahenden Winters diente die Aussage einer Hilfesuchenden: "Wünsche hab ich keine, Wünsche kann ich mir nicht leisten."
Nun 71 statt 56 Sozialberatungsstellen
"Wo es massive Mehrkosten gibt und die Gefahr der Armut steigt, braucht es auch mehr Hilfe!", betonte Landau. Die Caritas habe heuer ihre Sozialberatungsstellen in ganz Österreich von 56 auf 71 erhöht, um Bedürftigen möglichst regional konkrete Unterstützung anzubieten. Zudem würden Betroffene erstmals auch online beraten; seit dem Start im Frühjahr waren dies bereits 3.300 Menschen - zusätzlich zu den 68.000 Personen, die 2021 in den Sozialberatungsstellen direkt oder indirekt Hilfe gefunden hätten.
An die Politik wiederholten die Caritas-Verantwortlichen ihre zuletzt während der Teuerung erhobenen Forderungen. Bisher geleistete Hilfen seien "wichtig, aber unzureichend im Kampf gegen Armut". Für Einmalzahlungen, Teuerungsausgleiche und die ab 2023 geplanten Valorisierungen gebühre der Bundesregierung Lob, aber "gleichzeitig müssen wir betonen: Die Maßnahmen reichen aktuell nicht aus", warnte Landau. Der Preis für einen durchschnittlichen Einkauf im Supermarkt sei im vergangenen Jahr um 14,5 Prozent gestiegen, angesichts dieser Teuerungswelle seien die staatlichen Hilfen sind bereits nach ein paar Monaten aufgebraucht. "Hier braucht es noch heuer zusätzliche Hilfen", sagte Landau. Es gelte hier vor allem Alleinerzieherinnen, Arbeitslose und Mindestpensionisten besonders in den Blick zu nehmen.
Die Preissteigerungen würden "alle treffen, aber nicht alle gleich". Sehr wohl Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft habe jedoch das schwindende Vertrauen in die Politik. Insofern sei Armut auch eine Gefahr für die Demokratie, gab Landau zu bedenken.
Gezielte Hilfe braucht solide Datenbasis
Generalsekretärin Anna Parr forderte Maßnahmen den Winter betreffend. "Neben dem Stromrechnungsdeckel braucht es für alle Armutsbetroffenen jetzt schnell auch eine Lösung beim Heizen." Parr appellierte an die Bundespolitik, endlich eine solide Datenbasis zu schaffen, mit der Hilfen zielgerichtet und treffsicher ausbezahlt werden können. Diese Datenbasis fehle bisher. "Uns muss aber klar sein: Wer gezielt hilft, hilft länger", betonte die Generalsekretärin.
Parr rechnete anhand zweier konkreter Betroffener vor, dass sich die Armutssituation von Caritas-Klienten trotz der bisherigen Hilfen weiter verschlechtert: So blieben der Mindestpensionistin Barbara S. von ihrem monatlichen Einkommen von knapp über 1.000 Euro und dem Sozialhilfeempfänger Franz P. von seinen 997 Euro trotz und Energiekostengutschein noch weniger Geld pro Tag übrig als zu Beginn des Jahres. Diese Beispiele seien keine Einzelfälle. Oftmals müssten die Menschen mit neun Euro pro Tag zum Leben und Essen auskommen, so Parr.
Psychische Probleme nehmen zu
Die steirische Caritas-Direktorin Nora Tödtling-Musenbichler lenkte den Blick auf die soziale Seite von Armutsgefährdung. In den Beratungsstellen zeige sich, dass bei der Klientel psychische Probleme zunähmen. "Manche sind ohne Unterstützung nicht in der Lage, ihre ohnehin schwierige Lage zu meistern." Immer wieder zeige sich auch, dass Armut Scham auslöst - gerade am Land, wo man sich kennt, so die seit Juli amtierende Caritas-Direktorin.
"Ein wichtiges Ziel unserer Beratungen ist, jeweils die Wohnsituation abzusichern", sagte Tödtling-Musenbichler. "Gerade Wohnen ist ein zentrales Thema für das Sicherheitsgefühl. Wer keine Wohnadresse hat, verliert auch den Anspruch auf manche Leistungen". Für die Caritas-Verantwortliche "hört Hilfe nicht an der Tür der Beratungsstelle auf, sondern fängt manchmal erst an der Wohnungstür der Klientinnen und Klienten an, damit sie langfristig ihren Wohnraum erhalten können".
Iris Eder von der Caritas-Beratungsstelle zur Existenzsicherung (BEX) wies darauf hin, dass viele Hilfesuchende von digital einzugebenden Anträgen überfordert seien; ihnen gereiche die Digitalisierungsoffensive im Zuge der Pandemie zum Nachteil: "Es braucht barrierefreie Zugänge zu Sozialleistungen!" Zugleich trat Eder dem Vorurteil entgegen, die Caritas-Klientel könne nicht mit Geld umgehen. Viele seien hierbei angesichts ihrer geringen zur Verfügung stehenden Mittel sogar kompetenter.
Caritas-Präsident Landau dankte bei der Pressekonferenz den vielen freiwillig Helfenden, auf die sich die Caritas in ihrer Arbeit stützen könne, und warb für die Vermittlungs-Plattform www.füreinand.at. (Caritas-Spendenkonto bei der Erste Bank: IBAN AT23 2011 1000 0123 4560; Kennwort: Inlandshilfe; www.caritas.at)
Quelle: kathpress