Marianum der Caritas in Graz: "Unsere Zielgruppe hat immer Krise"
Die aktuelle Teuerungswelle hat für viele Armutsgefährdete in Österreich die Lage weiter verschärft, keine Frage. Aber: "Unsere klassische Zielgruppe hat immer Krise", antwortet Philipp Friesenbichler vom Caritas-Sozialzentrum Marianum in Graz lapidar auf die Frage, wie seine Klientinnen und Klienten mit den Folgen der steigenden Heizkosten und Lebensmittelpreise zurande kommen. Der langjährige Caritas-Mitarbeiter ist verantwortlich für die Lebensmittelausgabe an Bedürftige, eine Tonne davon verteilen er und seine Kollegen davon täglich an Personen, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen - "prekär Wohnversorgte", Einsame, zuletzt auch etliche neue Gesichter.
Nach den Fragen der Medienleute, die im Zuge einer Pressefahrt mit Besuch in Hilfseinrichtungen der Caritas Steiermark gestellt wurden, widmet sich Friesenbichler gemeinsam mit der Direktorin der Caritas Steiermark, Nora Tödtling-Musenbichler, und dem aus Wien angereisten Caritas-Präsidenten Michael Landau zwei Hilfesuchenden, die mit großen Einkaufstaschen vor dem langen Tisch der Lebensmittelausgabe stehen. Kaufen müssen die beiden ärmlich Gekleideten nichts, die überreichten Erdäpfel, Kichererbsen, Paprika u.a. Goodies dürfen die Frau und der Mann gratis einpacken. "Früher haben wir ein Butterbrot gegessen, wenn sonst nichts da war", berichtet die Frau. Jetzt nicht mehr, denn die Butter sei unleistbar teuer geworden. Wie das im herannahenden Winter mit dem Warmhalten der kleinen Wohnung sein wird, ahnt sie schon: Maximal einen Heizkörper werde sie aufdrehen können.
Die Lebensmittellieferungen der Handelsketten, die Leuten wie ihr zugute kommen, fließen laut Philipp Friesenbichler spärlicher als noch vor wenigen Monaten. Die Unternehmen würden Ablaufware - auf Schienen wie "Too Good To Go" - immer öfter selbst anbieten, hätten eine bessere Logistik und würden auch mal geleerte Regale in Kauf nehmen, um weniger Unverkauftes anzuhäufen. Das Marianum hilft sich mit mehr Direktkontakt zu Produzenten, so der Caritas-Verantwortliche. Der große Container im Lagerraum sei gerade gefüllt mit Erdäpfeln, die zwar in Ordnung, für Supermärkte aber nicht schön genug seien. Und auch Zukäufe habe es im Zuge der Ukrainehilfe bereits gegeben, berichtet Friesenbichler.
Eine weitere Kundin, Claudia, 62-jährige Mindestpensionsbezieherin, lässt sich die Taschen füllen. Claudia ist nicht ihr richtiger Name, den sie den Interviewern nicht nennen möchte - sie geniert sich wegen ihrer Armut. Dennoch gibt sie Auskunft über ihre prekäre Lage, denn sie möchte andere Bedürftige ermutigen, sich Hilfe zu holen. Sie kennt einige, die ihre Schamgrenze noch nicht überwinden können. Für "Luxus" wie einen Konzertbesuch muss Claudia Monate vorher zu sparen beginnen, und ihre 400 Euro teure Gleitsichtbrille konnte sie sich nur mithilfe eines Zuschusses der Caritas leisten, erzählt sie.
Caritas-Projekt "Leistbar Wohnen"
Armut ist auch ein Aufnahmekriterium bei einem weiteren besuchten Caritas-Projekt - "Leistbar Wohnen - Gemeinsam leben" in der Grazer Keplerstraße. Hier bietet die Caritas 33 befristete Wohnungen für Personen, die aufgrund ihrer aktuellen Lebensumstände einen erschwerten Zugang zu Wohnraum am privaten und öffentlichen Wohnungsmarkt haben. Der Bedarf danach ist groß - vor allem für die vielen Kleinwohnungen um die 20 Quadratmeter, die Warteliste ist lang, erzählt Leiter Klemens Brehm. So gut es geht, achte man seitens der Caritas auf eine gute Durchmischung im großen Wohnhaus unweit des Bahnhofs: Es gibt Alleinerziehende, Familien, Studierende, Alte aus insgesamt 24 Nationen.
Das anfangs gemeinsam mit der Diözese Graz-Seckau durchgeführte Projekt besteht seit viereinhalb Jahren, die maximale Wohndauer beträgt fünf Jahre - und rund die Hälfte der Mieterinnen und Mieter wohnt hier seit Beginn. "Das heißt, in einem halben Jahr läuft die Frist ab, aber wir werden niemanden zwangsweise vor die Tür setzen", sagt Brehm.
Mit ihm im Gemeinschaftsraum sitzt Frührentnerin Doris. Die 53-Jährige hat ein unstetes Leben hinter sich und ist froh, bei der Caritas seit eineinhalb Jahren eine Bleibe gefunden zu haben, wo sie sich wohlfühlt und sogar eine Katze halten darf. Um die 500 Euro inklusive aller Nebenkosten zahlt sie für ihre 38m2-Wohnung - eine am freien Markt in Graz konkurrenzlos billige Miete. Manche seien trotz dieser günstigen Preise wegen unvorhergesehener Ausgaben im Zahlungsrückstand, in Gesprächen mit den Caritas-Verantwortlichen wird jedoch immer eine Lösung gefunden, berichtet Klemens Brehm. Anders als bei "normalen" Hausverwaltungen gilt hier: "Wir kennen unsere Leute."
Notschlafstelle "Arche 38"
Letzte Besuchsstation ist die seit fast 30 Jahren bestehende "Arche 38", eine Caritas-Anlaufstelle für wohnungslose Menschen nicht weit vom Grazer Hauptbahnhof. Auch hierhin kommen Arme aus aller Herren Länder, erklärt Leiter Stefan Bottler-Hofer. Die Notschlafstelle bietet 30 erwachsenen Männern einen Schlafplatz und mehrsprachige Beratungsangebote. Die Nächtigung kostet symbolisch einen Euro pro Nacht inkl. Abendessen sowie Frühstück; wer selbst das nicht aufbringen kann, wird nicht weggeschickt. Seit Jahresbeginn gab es 6.300 Übernachtungen für gezählte 400 Personen; die Aufenthaltsdauer variiert dabei sehr: "Manche werden nach einer Nacht nie wieder gesehen, andere kommen immer wieder", sagt Bottler-Hofer.
Neben dem Haus mit 30 Schlafplätzen mit Duschmöglichkeit und Gepäckaufbewahrung verfügt die "Arche 38" auch über zwei Container mit Stockbetten, die während der Pandemie in Verdachtsfällen als Quarantäne-Quartier dienten, zuletzt auch für Wohnungslose mit Hund, für Trans-Personen oder Vater-Sohn-Duos, wie Bottler-Hofer berichtet.
Derzeit sei die Auslastung überschaubar, im Winter werde das Haus wohl wieder voll sein - trotz zusätzlicher Winterquartiere. Und die aktuelle Krise lasse erwarten, dass die "Stammkunden" steigen, befürchtet der Hausleiter. Er weiß: Die Teuerungen sorgen dafür, dass für Wohnungslose der "Wiedereinstieg" in ein normales Leben mit festem Wohnsitz und geregeltem Einkommen nochmal schwieriger wird.
Quelle: kathpress