Biblikerin: "Altes Testament wesentlich besser als sein Ruf"
Das Alte Testament (AT) steht durch dominierende Männergestalten wie Abraham, Moses, David, Salomon oder die Propheten zu Unrecht unter "Patriarchats-Verdacht" - es "ist wesentlich besser als sein Ruf". Diese ihre Einschätzung hat die Jüngst emeritierte Grazer Alttestamentlerin Irmtraud Fischer mit dem Hinweis untermauert, Frauen kämen - außer im schlachtopfernden Priestertum - in allen Leitungspositionen im alten Israel vor. Dass dies weitgehend unbekannt ist, führte die feministische Theologin in einem Kathpress-Interview auch darauf zurück, dass entsprechende Texte nicht in Sonntagslesungen und unzureichend in Schulbüchern vorkämen.
Sogar Frauen, die am Eingang zum Offenbarungszelt (dem Heiligtum Israels in Form eines transportablen Tempels, Anm.) ihren Dienst versehen, gebe es im AT, wies Fischer hin, die sich anlässlich eines Vortrags über Genderforschung in der Theologie in Wien aufhielt. Selbst die Neue Einheitsübersetzung gebe diese Funktion verzerrend als "sich aufhalten" wieder - "als ob sie dort zufällig anwesend wären!" Dabei handle es sich um dasselbe Vokabel für denselben Dienstort der Hohepriester. In einigen Fällen ist es nach den Worten der Herausgeberin der bisher 16 Enzyklopädie-Bände "Die Bibel und die Frauen" erst die Übersetzung, "die Frauen unbedeutender macht, als sie es in antiken patriarchalen Gesellschaften waren". Ob Fischer einen Widerspruch darin sieht, als Alttestamentlerin zugleich feministische Theologin zu sein? "Definitiv nein!"
Unverkrampfte Sexualität im AT
Zuletzt befasste sich die Grazer Bibelwissenschaftlerin in einem Buch mit Sexualität im Alten Testament. Dass es im AT Anregungen bzw. Vorbilder für einen unverkrampften Umgang mit Sexualität gibt, könne sie "vollumfänglich bejahen". Es gebe mit dem Hohelied der Liebe ein ganzes Buch mit hocherotischen Versen, es werde auch Liebe zwischen Frauen und zwischen Männern benannt "und es zeigt sich, dass der immer wieder behauptete biblische Befund der flächendeckenden Ablehnung von Homosexualität nicht stimmt": Ausschließlich im Heiligkeitsgesetz im Buch Levitikus finde sich zweimal das Verbot, "das im Laufe der Geschichte so viel Diskriminierung verursacht hat".
Aber auch die beiden Schöpfungstexte können laut Fischer ganz anders verstanden werden, als sie traditionellerweise ausgelegt wurden: Genesis 1 sei ein Text, der mit der Polarität der Schöpfungswerke das Ganze angibt - also Himmel und Erde, Sonne und Mond, das Meer und das Trockene. Freilich habe Gott auch die Dämmerung und das Watt gemacht, somit könne mit dem männlich und weiblich erschaffenen Menschen auch alle Geschlechtsvarianten und -orientierungen mitgemeint sein. Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit ließen sich dann nicht als einzig "natürlich" festschreiben, erklärte Fischer. Und sie fügte hinzu: "Die Herrschaft des Mannes über die Frau (Gen 3,16) ist zudem kein göttliches Gebot, sondern vielmehr die Beschreibung einer durch Sünde verursachten menschlichen Ordnung, wohingegen die göttliche Schöpfungsordnung in beiden Texten egalitär konzipiert ist."
Biblische Frauen "allzu lang vergessen"
Von den Frauengestalten im AT wolle sie keine einzelne hervorheben. Alle seien wichtig, "weil sie allzu lang vergessen und verniedlicht wurden". Für wirklich bemerkenswert halte sie das Buch Rut, so Fischer. Dort werde die Weltsicht weiblich dargestellt - "bemerkenswert für eine antike patriarchale Gesellschaft!" Die Alttestamentlerin bedauerte, dass trotz zahlreicher Veröffentlichungen (sie selbst verfasste eine Trilogie über Frauen im AT) viel Unkenntnis über diese Bibelstellen vorherrsche. Das sei auch "ein Spiegel der offiziellen kirchlichen Lehre, für die Frauen nur am Rand sind und nur dann zählen, wenn sie den Geschlechterstereotypen entsprechen".
Dass die im Zuge des Synodalen Prozesses oft thematisierte Frauenfrage zu substanziellen Reformen zugunsten von mehr Frauenmitsprache und -verantwortung führt, erwartet Fischer nicht: "Die Katholische Kirche hätte die Generationen von Theologinnen, die Frauen- und Geschlechterforschung betrieben, als Speerspitze nutzen können", diese würden jedoch ignoriert. Dass Papst Franziskus eine "neue Theologie der Frau" fordert und Applaus dafür bekommt, kommentierte die Theologin so: "Er müsste nur mal in die facheinschlägigen Bibliotheken schauen, die sind voll davon. Aber offenkundig ist nicht das Richtige dabei."
Quelle: kathpress