Jurist: Offene Fragen nach VfGH-Erkenntnis zu Pandemie und Religion
Offene Fragen nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zur ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Religion und Kunst hat der Jurist, Kirchen- und Religionsrechtler, Prof. Andreas Kowatsch, attestiert. Der "eindimensionale Vergleich", den der VfGH in seinem Erkenntnis vom 30. Juni zwischen Kunst, Kultur und Religion vorgenommen habe, sei in seiner Ausblendung spezieller Regelungen die Kirchen und Religionsgesellschaften betreffend "nicht ohne weiteres schlüssig" und zudem ein "deutlicher Beleg" dafür, dass der "eigenständige Sinngehalt der Religionsfreiheit" in säkularen Gesellschaften "immer neu plausibel gemacht" werden müsse, sagte Kowatsch bei einem Vortrag am Mittwochabend an der Uni Wien.
Ausgeklammert hätte der VfGH bei seiner Entscheidung, wonach das coronabedingte Betretungsverbot für Kultureinrichtungen im Herbst 2021 gleichheitswidrig war, letztlich bestehende bindende Vereinbarungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Diese Vereinbarungen hätten den Rahmen staatlicher Erwartungen an die Kirchen und Religionsgesellschaften klar abgesteckt, "innerhalb dessen diese so lange eigenverantwortlich handeln konnten, als das zu erreichende Ziel in zumindest gleicher Weise erreicht werden konnte".
Insofern habe der VfGH zwei Bereiche miteinander vergleichen, "die über den Wortlaut der Verordnung hinaus nicht vergleichbar waren", so Kowatsch: "Während das Betreten von Einrichtungen zur Kulturausübung tatsächlich verboten war, waren Versammlungen zur Religionsausübung lediglich aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen, zu keiner Zeit hingegen schlechthin, also ohne Rücksicht auf den Infektionsschutz erlaubt."
Der Staat habe mit dem beschrittenen Weg, die Coronaschutzmaßnahmen und deren Kontrolle im religiösen Kernbereich - der Feier der Gottesdienste - in einem klar abgesteckten Rahmen den anerkannten Religionsgesellschaften zu überlassen, letztlich eine "kluge Entscheidung" getroffen, insofern "das gewünschte Ziel auch durch interne Maßnahmen der Religionsgemeinschaften erreicht werden konnte". Dies verdanke sich u.a. der "verlässlichen Infrastruktur", die seitens der Religionsgesellschaften bestanden haben, um die Vereinbarungen einzuhalten bzw. durchzusetzen - "notfalls auch gegen den Widerstand eigener Amtsträger".
Gewiss blieben offene Fragen in beide Richtungen zu stellen, so Kowatsch: Die Religionsgesellschaften müssten sich fragen lassen, "ob sie tatsächlich immer bereit waren, die staatliche Erwartung, die Einhaltung der eigenen Maßnahmen konsequent auch gegenüber ihren Mitarbeitenden durchzusetzen, zu erfüllen". Der Gesetzgeber wiederum müsse sich die Frage gefallen lassen, "ob die Bereichsausnahme für die Zusammenkünfte zur Religionsausübung nicht besser hätte begründet werden müssen". So hätte etwa klarer formuliert werden können, dass die Ausnahme nur gilt, wenn die Religionsgesellschaften tatsächlich in der Lage sind, die vereinbarten Maßnahmen eigenständig umzusetzen.
Schutz innerer Angelegenheiten
Zur Verdeutlichung, dass es sich dabei um den Schutz innerer Angelegenheiten und nicht um eine "illegitime Auslagerung der Kompetenz zum Erlass von Staatsgesetzen handelt", wäre laut Kowatsch etwa das Institut der genehmigenden Kenntnisnahme dieser Maßnahmen durch die staatlichen Behörden geeignet.
Zudem könnte in Zeiten bröckelnden Vertrauens in staatliche Institutionen das Vertrauen in den Rechtsstaat gestärkt werden, wenn dem weit verbreiteten Gefühl des Ausgeliefert-Seins gegenüber staatlichen Maßnahmen mit einem stärkeren einstweiligen Rechtsschutz im Sinne eines Eilverfahrens vor dem VfGH gegenüber massiven Eingriffen in verfassungsrechtlich gewährleistete subjektive Rechte begegnet würde, so Kowatsch abschließend.
Der Vortrag, der unter dem Titel "Religionsfreiheit in Zeiten der Pandemie? Anmerkungen aus der Sicht des Religionsrechts und des Kirchenrechts" stand, war zugleich die Antrittsvorlesung von Andreas Kowatsch als Professor für Kirchenrecht und Religionsrecht an der Universität Wien. Unter den Zuhörern waren u.a. Bischof Wilhelm Krautwaschl, Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Ümit Vural, sowie zahlreiche Vertreter aus Verwaltung und Justiz.
Quelle: kathpress