Zulehner: Kirche braucht politischen Perspektivenwechsel
Die katholische Kirche muss aus Sicht des Theologen und Religionssoziologen Paul Zulehner einen raschen Perspektivenwechsel und die Bewegung hin zu einer "mystisch-politischen Kirche" vollziehen. Gerade in der heute "taumelnden Welt" mit verschiedenen Krisenausformungen und einer Grundstimmung der Angst brauche die Welt Kirchen und Religionen als Ressourcen der Hoffnung, um nicht inmitten der "apokalyptischen Bedrängnisse" zu scheitern, betonte Zulehner am Freitagabend bei einer Veranstaltung in Wien. Das dafür dringlich benötigte Vertrauen kann Kirche dabei nicht allein durch innerkirchliche Reformen gewinnen, sondern, so Zulehner, "indem wir uns an die Seite der verängstigten Menschheit stellen, einen realistischen Pazifismus vertreten und zur ökologischen Vorhut zählen".
Die verschiedenen aktuellen "Megachallenges" wie Krieg, Terror und Klimanotstand bildeten im Verbund mit einer unverantwortlichen Politik und der Angst eine "toxische Mischung", führte Zulehner im Rahmen eines Vortrags bei der Verleihung der von mehreren Kirchenreform-Initiativen vergebenen "Trompete von Jericho" aus. Just in dieser Zeit, "in der die Welt taumelt und die Hoffnung schwindet", sei die Kirche vor allem mit sich selbst beschäftigt, warnte der Theologe und mahnte zum Blick über den binnenkirchlichen Bereich hinaus.
Frauenordination, eine Demokratisierung der Kirche, Änderungen bei der Sexualkultur seien wichtige innerkirchliche Reformanliegen, betonte Zulehner. Ihm komme in diesen Tagen bei seiner pastoraltheologischen Arbeit aber ein Worst-Case-Szenario in den Sinn. "Wir schaffen die längst fälligen Reformen der Kirche in absehbarer und schneller Zeit. Aber während wir diese innerkirchlichen Anliegen zu einem guten Ergebnis bringen, geht die taumelnde Welt unter."
In Österreich und andernorts brauche die Kirche daher jenen politischen Perspektivenwechsel, um den sich Papst Franziskus schon seit dem Beginn seiner Amtszeit bemühe, hob Zulehner hervor. "Zum Klimawandel holt er sich die besten Ökologen und Ökonomen der Welt und verfasst 'Laudato Si', deren erstes Kapitel fachlich genau die Lage des Weltklimas beschreibt. Er veröffentlicht 'Fratelli Tutti', weil er genau weiß, dass die Weltpolitik nur gut geht, wenn sie von einer universellen Solidarität getragen ist. Und bei alldem versucht er, die Menschen im Geheimnis Gottes zu verankern, welches der letzte Grund unserer Hoffnung ist."
Dieser Perspektivenwechsel geht für Zulehner einher mit einer neuerlichen Bekehrung zur Konstitution "Gaudium et Spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65). "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi", zitierte der Theologe aus der Konzilskonstitution zur "Kirche in der Welt von heute". Inspiration komme zudem aus der Kirchen-Konstitution "Lumen gentium", und zwar dafür, "dass wir in einer zerrissenen und sich selbst bedrohenden Menschheit für deren Einheit stehen. Eine Einheit, die aus der tiefen Einheit Gottes erwächst", sagte Zulehner: "Wir werden eine mystisch politische Kirche sein, die nicht in sich selbst implodiert. Wenn wir diesen Perspektivenwechsel rasch schaffen, dann können wir den Menschen auch um einen Vertrauensvorschuss für die Religionen bitten."
Auszeichnung für Afrika-Missionare
Der zum zweiten Mal verliehene Preis der österreichischen Kirchenreform-Initiativen, die "Trompete von Jericho", wurde heuer posthum an den 2019 verstorbenen früheren Ordensgeneral der ehemaligen Afrikamissionare ("Weiße Väter"), Theo van Asten, sowie an den Missionar, Politologen und Afrikanisten Josef Pampalk als noch lebenden Zeitzeugen verliehen. Zu den Initiativen gehören die Plattform "Wir sind Kirche", "Laieninitiative", "Pfarrer-Initiative" und die Gruppe "Priester ohne Amt".
Van Asten habe in Zeiten der Salazar-Diktatur in Portugal eine wichtige Rolle im "bahnbrechenden Protest gegenüber dem Vatikan und den portugiesischen Bischöfen in Mosambik" gespielt und damit die Ordensgemeinschaft vor einer "Instrumentalisierung der Mission" bewahrt, hieß es zur Preisvergabe. Van Astens Zeugnis und Anliegen sei "heute aktueller denn je" und gebe weiter Impulse, um kirchliches Schweigen zu kolonialer Vergangenheit zu brechen.
Der Österreicher Josef Pampalk habe 1971 als Missionar in Mosambik den Protest seines damaligen Ordens mitentschieden habe, so die Kirchenreform-Initiativen. Pampalk sei bis heute mit Gleichgesinnten aktiv für kirchliche Erneuerung im Dienst einer gerechteren Welt und erhalte deshalb die "Trompete von Jericho".
Quelle: kathpress