Graz: Studienjahr an Theologischer Fakultät mit Symposion eröffnet
Mit einem interdisziplinären Symposion über "Das Heilige" ist die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Graz am Mittwoch ins neue Studienjahr gestartet. Das Thema sei nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Zuschreibungen hoch aktuell, betonte der Grazer Religionswissenschaftler Franz Winter bei seinem Eröffnungsvortrag: Wenn etwa der Moskauer Patriarch Kyrill den Angriffskrieg auf die Ukraine als "heilig" bezeichne oder Attentäter wie jene von "09/11" ihren Anschlag als heilig begriffen, so zeige sich darin bereits die "hohe Ambivalenz", die das Heilige aufweise. Entsprechend wählten Winter und der zweite Eröffnungsvortragende, Prof. Reinhold Esterbauer, den "Klassiker" von Rudolf Otto - "Das Heilige" - zum Ausgangs- und Referenzpunkt einer heutigen Annäherung an das Heilige.
In dem 1917 mitten im Ersten Weltkrieg erschienenen Werk wählte Otto den Begriff des "Numinosen", von dem der Mensch in verschiedenen Formen ergriffen werden und die er schließlich als Erfahrungen des Heiligen deuten könne. Die Erfahrungen des Heiligen hätten dabei durchaus "irrationalen Charakter" in dem Sinne, dass sie sich einem rein rationalen Zugriff verschlössen bzw. diesen überstiegen, so Winter. Dazu zähle u.a. die Erfahrung der "Kreatürlichkeit", eine markerschütternde Ergriffenheit ("mysterium tremendum"), aber auch eine starke positiv erlebte Anziehungskraft ("mysterium fascinans").
Auch wenn die religionswissenschaftliche Forschung mittlerweile mit Ottos Begriff und Annäherung an das Heilige nicht mehr aktiv arbeite, so könne eine Relecture des Werkes zum einen dazu beitragen, "wieder ein Gespür für den Eigenwert der Religion zu bekommen" - zum anderen rufe Ottos komplexer Begriff des Heiligen in Erinnerung, dass Religion nicht auf ein reines "Wohlfühl- und Weltverbesserungsprogramm" reduziert werden dürfe, sondern ihr in ihrem Kern eine tiefe Ambivalenz eigne.
Der Grazer christliche Philosoph Prof. Reinhold Esterbauer ordnete das Werk Ottos philosophisch ein. Schließlich stelle die Annäherung Ottos an das "Numinose" über die individuelle Erfahrung den interessanten Versuch dar, das Irrationale jenseits von ästhetischen oder ethischen Begriffen zu fassen. "Das Heilige geht in diesen üblichen rationalen Begriffen nicht auf, sondern bleibt ein eigener Bereich." Damit habe Otto versucht, zwischen Rationalismus und Naturalismus einen eigenen Weg zu finden und dem Gefühl einen philosophischen Wert zuzuschreiben. "Das Heilige ist bei ihm real, aber nicht rational".
Die Philosophie habe sich mit diesem Versuch Ottos indes stets schwer getan, erinnerte Esterbauer abschließend etwa an eine Replik des Philosophen Edmund Husserl, der Otto eine partielle, theologisierende Blindheit vorgeworfen hatte und einen Zugang attestierte, der nicht ohne vorausgehenden Glaubensakt funktioniere.
In einem weiteren Vortrag am Nachmittag referierte der Franziskaner P. Dominikus Kraschl über die Heiligkeit Gottes als ein "schwieriges Gottesattribut". In einer systematisch-theologischen Annäherung entfaltete Kraschl dabei ein komplexes Verständnis von Heiligkeit, der als "unüberbietbare Vollkommenheit" nur angemessen in Unterwerfung und Anbetung begegnet werden könne. Workshops zu literarischen Annäherungen, zum "Heiligen Schmerz" und zum Apostolischen Schreiben "Gaudete et exsultate" von Papst Franziskus zur Heiligkeit im alltäglichen Leben rundeten den ersten Tag des Symposions ab.
Am Donnerstag stehen weitere Workshops und zwei Vorträge der Theologin und Seelsorgerin am Zentrum der Theologiestudierenden, Sr. Gertraud Johanna Harb, und des Franziskanerpaters Johannes Schneider ("Die Erfahrung des Heiligen bei Franz v. Assisi") auf dem Programm. Die Tagung ist eine Kooperationsveranstaltung zwischen Katholisch-Theologischer Fakultät und Franziskanerkloster Graz. (Infos: https://franziskaner.uni-graz.at)
Quelle: kathpress