Kirchenmusiker Praßl nahm Abschied von Kunstuniversität Graz
Der renommierte Kirchenmusiker und langjährige Professor für Gregorianik, Franz Karl Praßl (68), hat Abschied von der Kunstuniversität Graz (KUG) genommen. In seiner letzten Vorlesung am Freitagabend betonte er die hohen Qualitätsansprüche der von ihm als Pionier betriebenen "Gregorianische Semiologie", die darauf abzielt, den Sinn des Neumenzeichens (die im Mittelalter zur Notation des Gregorianischen Gesangs dienten) zu erkennen und zum Klingen zu bringen. Wissenschaftliche Erkenntnis und praktische Anwendung in Liturgie und Konzert gehen laut Praßl Hand in Hand.
Der aus der Steiermark stammende Theologe und Musikwissenschaftler, der selbst auch kompositorisch tätig ist, erinnerte daran, dass die KUG die erste Musikuniversität im deutschsprachigen Raum war, die ein Doktorat für Künstlerinnen und Künstler anbot, "weil sie überzeugt war, dass künstlerische Tätigkeit - verbunden mit wissenschaftlicher Forschung - neuen Erkenntnisgewinn für Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft generieren kann". Betrieben werde somit "innovative Forschung, die auf der Synergie zwischen Kunst und Wissenschaft aufbaut".
Gregorianik fußt auf Rhetorik
In Bezug auf den Gregorianischen Choral nannte es Praßl als Zweck seiner Studien, die ältesten überlieferten Quellen im Hinblick auf deren ursprüngliche Interpretation auszuwerten "und diese Erkenntnisse in Klang umzusetzen, in künstlerisch-wissenschaftlicher Verantwortung". Es gelte sich vor Augen zu halten, dass am Anfang des liturgischen Singens nicht die schöne Melodie, sondern die Rhetorik stehe - "der formal richtig und theologisch-inhaltlich sinnvoll gesprochene Satz, dessen differenzierte akustische Darstellung schon im Keim die adäquate melodische Gestalt in sich trägt".
Nicht umsonst habe der deutsche Kirchenmusiker Godehard Joppich einen Vortrag in Graz einmal mit dem "Eingangsgag" begonnen: "Meine Damen und Herren, der Gregorianische Choral hat überhaupt nichts mit Musik zu tun." Praßl verwies auf die intensive Textbezogenheit liturgischer Musik, die bei der Interpretation von Gregorianik allerdings zeitweise "aus ideologischen Voreingenommenheiten heraus" und "fernab der Quellenkenntnis" zu Irrwegen geführt habe.
Heute würden die Zugangsweisen zu einer liturgischen Musik des 8., 9. und 10. Jahrhunderts durch die Gregorianische Semiologie mit fortschreitendem Erkenntniszuwachs korrigiert, führte der maßgeblich daran beteiligte Praßl aus. Und für die praktische Umsetzung biete sich ihm seit 1992 im In- und Ausland unzählige Möglichkeiten durch die Arbeit mit der Grazer Choralschola, aber auch durch die Arbeit mit der Choralschola des Pontificio Istituto di Musica Sacra in Rom. Bekanntlich dirigierte Praßl bei der Messe zur Amtseinführung von Papst Franziskus die gregorianischen Gesänge, da er auch an dieser päpstlichen Musikhochschule Gregorianik lehrte.
Junge Studierende, die sich für Fragen der Gregorianikforschung interessieren, müssen laut dem Grazer Kirchenmusiker entsprechend gut ausgebildet sein: "Das beginnt bei den Latein- und Bibelkenntnissen, geht mit einer gründlichen Einführung in die Paläographie (Lehre von alten Schriften, Anm.) weiter und betrifft genauso die Kenntnisse mittelalterlicher liturgischer Ordnungen." Praßl wörtlich: "Auch wenn viele es nicht glauben wollen: Die Realisierung von Gregorianik verlangt Professionalität auf allen Linien."
Forscher mit viel Praxisrelevanz
Franz Karl Praßl wurde 1954 in Feldbach (Stmk.) geboren, studierte Theologie, Kirchenmusik, Chorleitung und Dirigieren in Graz, später in Essen Gregorianische Paläographie und Semiologie. 1982 bis 1992 war er Domorganist in Klagenfurt, 1982 bis 1989 auch Kirchenmusikreferent der Diözese Gurk. 1989 übernahm Praßl die Professur für Gregorianik und Geschichte der Kirchenmusik an der Kunstuniversität Graz. 1999 bis 2011 war er Präsident der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie.
Franz Karl Praßl ist Mitherausgeber der beiden 2011 und 2018 erschienenen Bände des Graduale Novum, der offiziösen Ausgabe der liturgischen Gesänge für die römisch-katholische Messe. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur Hymnologie, Liturgie- und Sakralmusikgeschichte vor allem des 12. Jahrhunderts. Er ist Gründer und Leiter der Grazer Choralschola, mit der er zahlreiche Konzertreisen unternommen und Tonträger produziert hat. 2019 wurde Praßl mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet.
Quelle: kathpress