
Joas: Christliche Botschaft verlangt nach Organisationsform Kirche
Wozu braucht es heute noch die Kirche als religiöse Organisationsform? Wird Kirche durch die aktuellen Krisen nicht delegitimiert? - Nein, lautet die Antwort des deutschen Soziologen Prof. Hans Joas. Es brauche Kirche in ihrer globalen Organisationsform ebenso wie in ihren partikularen institutionellen Ausfaltungen, da nur so das im Christentum grundgelegte Konzept eines "moralischen Universalismus" weiter tradiert werden könne, so Joas bei einem Vortrag am Mittwochabend in Wien. Dieser Universalismus meine keine universale Moralvorstellung, sondern die Überzeugung, als Christen "letztlich für das Wohl und Heil aller Menschen zuständig zu sein".
Man könne diesen Universalismus nicht allein bzw. individualethisch pflegen, sondern es brauche dazu Organisationsformen, die kollektive religiöse Erfahrungen und eine rituelle Praxis gewährleisteten, in denen dieser Universalismus tradiert und immer wieder neu grundiert wird. Insofern könne die Eucharistie als "Versuch einer kollektiven Praxis der rituellen Vergegenwärtigung des Universalismus" verstehen, so Joas. Dieser Punkt sei aus soziologischer Sicht besonders relevant, da sich soziologische Befassungen mit Kirche meist an Organisationsformen und -strukturen abarbeiten, theologische Diskurse sich indes genau diesen Fragen weniger widmen. Hier gebe es daher einen Bedarf nach interdisziplinärem Gespräch, betonte Joas. Ein wichtiger Gesprächspartner bzw. soziologischer Angelpunkt könnte dabei der Heilige Augustinus sein, führte der Soziologe weiter aus, da dieser erstmals die rituelle Praxis und die soziologische Organisationsform zusammengedacht habe.
Aktuell arbeitet Joas an einem Buch über die Geschichte des moralischen Universalismus. Zuletzt erschien von ihm im Herder-Verlag das Buch "Warum Kirche? Selbstoptimierung oder Glaubensgemeinschaft". Hintergrund sei u. a. eine Verschiebung in der öffentlichen Debatte über Kirche und Religion gewesen, führte Joas weiter aus. Habe vor 20 Jahren etwa noch die Frage, ob Religion überhaupt eine Zukunft habe, die Öffentlichkeit bewegt, so habe sich diese Debatte verschoben zur Frage, ob der Glaube Kirche benötige.
Joas nimmt gegenwärtig an einer Tagung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien zum Thema "Religiöse Erfahrung in der säkularen Moderne. Bestandsaufnahmen und Perspektiven" teil. Der Vortrag, der am Mittwochabend in Kooperation mit dem Katholischen Akademikerverband Wien im Otto Mauer-Zentrum stattfand, stand unter dem Titel "Warum Kirche? Organisation und kultische Praxis des christlichen Universalismus".
Quelle: kathpress