Religionen "gerade wegen ihrer Geschichte" wichtige Friedensakteure
Die großen Weltreligionen waren in ihrer Geschichte nicht nur Opfer, sondern auch Mittäter von Kriegen und sind es mitunter bis in die Gegenwart. Dennoch - oder sogar gerade deshalb - sollten sie unbedingt einen Beitrag zur Friedensfindung leisten, haben hochrangige Vertreter aus Christentum, Islam und Buddhismus am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion im Stift Klosterneuburg gemeinsam erklärt. Mehr positive Role Models, eine Gewaltfreiheit vermittelnde religiöse Bildung und ein stärkerer Fokus auf die jeweilige "Friedenskompetenz" seien heute vonnöten, so der Tenor der Experten.
Zu der Debatte unter dem Titel "Im Kampf für Gott. Weltreligionen und Gewalt(losigkeit) - angesichts von Kriegen" waren neben dem Religionswissenschaftler Johann Figl auch der Theologe Prof. Wolfgang Palaver, die Leiterin des Schulamtes der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Carla Amina Baghajati, sowie der Präsident der Buddhistischen Religionsgemeinschaft, Gerhard Weissgrab, geladen. "Religionen reden von Frieden, bringen aber Krieg" - so die bewusst provokante Ausgangsthese, die Propst Maximilian Fürnsinn als Gastgeber in den Raum stellte. Im Gespräch waren die Religionsvertreter dann aber um Differenzierung bemüht.
In den Heiligen Schriften von Judentum und Christentum seien auf ähnliche Weise Aufforderungen zum friedlichen Zusammenleben zu finden wie im Koran, zumindest was Mohammeds Frühzeit in Mekka betrifft, legte der Religionswissenschaftler Figl dar. Auch die Gründer von Hinduismus, Buddhismus und Jainismus hätten ein striktes Gewaltverbot vertreten. Religionen "wüssten, wie Kriege überwunden werden könnten", doch hätten ihre Anhänger gegenüber anderen und auch ihresgleichen oftmals keine Gewaltlosigkeit praktiziert, so der emeritierte Universitätsprofessor. Religionen seien nicht per se friedensstiftende Institutionen.
Ukraine-Kriegsopfer als Weckruf
Sehr konkret wurde der Theologe bei der Bewertung des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Wenn der orthodoxe Patriarch Kyrill diesen gutheiße, stehe er damit "außerhalb der christlichen Tradition". Die vielen Toten und Schwerverletzten sehe er als den "wichtigsten Impuls", um sich auf die Friedenstradition der Religionen rückzubesinnen, mahnte Figl.
Auch Palaver, Präsident der Friedensbewegung "Pax Christi", sprach den Ukrainekrieg an und damit die Frage nach der richtigen Form von Pazifismus. "Die wichtigste Eigenschaft eines gewaltfreien Kämpfers ist die Überwindung der Angst vor dem Tod", verwies der Sozialethiker auf einen Ausspruch Mahatma Gandhis. Gewaltfreiheit dürfe kein "feiges Zurückziehen" sein. Sanktionen stellten eine gewaltlose Form des Widerstandes gegen den ungerechtfertigten Angriff Russlands dar. Europa müsse bereit sein, dafür auch den geforderten Preis zu bezahlen, unterstrich Palaver.
In Richtung der Religionsführer mahnte Palaver, auf allzu große Nähe zu Staatsführungen sowie auf Privilegien zu verzichten, um nicht in die Fänge von Diktaturen zu gelangen. Nur so könnten sie ihrer friedensstiftenden Aufgabe nachkommen. Gegen Vereinnahmung und Instrumentalisierung müssten sich die Religionsvertreter wehren, was ständige Wachsamkeit erfordere. Dies sei den katholischen Bischöfen in Österreich während der Regierungszeit von Sebastian Kurz nur auf ungenügende Weise gelungen, meinte Palaver.
Dialog unabkömmlich
Auf den Beitrag der Religionen zum Frieden durch Dialog und das Hervorheben von positiven "Role Models" setzt die islamische Schulamtsleiterin Baghajati. Friedens-Vorbilder gebe es in allen religiösen Traditionen, "doch die Schlagzeilen bekommen immer nur die, welche die Religion für ihre Zwecke missbrauchen", beklagte die einst zum Islam Konvertierte. Wichtig sei es daher, in der religiösen Bildung besonders die "Pluralismusfähigkeit" und den "Umgang mit Ambiguität" der Heranwachsenden zu trainieren. Als Missbrauch der Religion bezeichnete es Baghajati auch, "Gott spielen" zu wollen.
Die Bedeutung des Dialogs strich auch Buddhisten-Vertreter Gerhard Weissgrab hervor, der diesbezüglich in Österreich ein gutes Funktionieren feststellte. "Dass ich in einem katholischen Kloster als Buddhist sitze und sprechen kann, war in vergangenen Jahrhunderten nicht denkbar", so der Präsident der Religionsgemeinschaft. Der Buddhismus predige als obersters Gebot Gewaltfreiheit, welche erst durch die Überwindung des "Egos", durch ein Bemühen um Miteinander und die Annahme von Diversität möglich sei.
Anlass und Ausgangspunkt der Debatte war die noch bis 15. November in der Sala terrena Galerie des Stiftes Klosterneuburg zu sehende Jahresausstellung 2022 "Gotteskrieger", die sich dem "Kampf um den rechten Glauben rund um Wien im 15. Jahrhundert" widmet. Bereits vor einer Woche hatte dazu eine weitere Podiumsdiskussion stattgefunden. Eine Zusammenfassung der Gespräche, deren Mitschnitt auch auf dem YouTube-Kanal von Stift Klosterneuburg zu sehen ist, bringt radio klassik Stephansdom in der Sendung "Perspektiven" (17.30 Uhr) am Freitag, 9. September sowie am 16. September. (Infos: www.stift-klosterneuburg.at)