Theologe Halik: Kirche vor Notwendigkeit einer "neuen Reformation"
Für den tschechischen Theologen Tomas Halik eröffnet die aktuelle Krise der Kirche die Chance auf neue Formen des Christentums. An "der Notwendigkeit einer neuen Reformation" führe dabei kein Weg vorbei, sagte der renommierte Theologe und Soziologe im Interview mit der "Kleinen Zeitung" (4. September), auch auf die Gefahr hin, dass diejenigen, denen die Reform zu radikal ist, die Kirche verlassen werden. Nur "ein geduldiges Bemühen um Dialog" könne diese Gefahr abschwächen, so Halik.
Wie der Glaube weitergehen könne, wenn tradierte Formen nicht mehr funktionieren, sei eine der wichtigsten Fragen der heutigen Zeit. Für Halik gebe es jedenfalls "keinen Weg zurück" zur vormodernen "Christianitas" oder zur modernen Form des Christentums als Weltanschauung. "Der notwendige Wandel kann sich nicht in oberflächlichen institutionellen Veränderungen erschöpfen." Es bestehe die Notwendigkeit, Spiritualität und Ökumene zu vertiefen sowie Solidarität zu üben, "mit allen, die sich für die Zukunft unserer gemeinsamen Welt verantwortlich fühlen".
Kirche könne etwa als "Schule der christlichen Weisheit" ausgestaltet werden: eine Gemeinschaft von Schülern und Lehrern, eine Gemeinschaft des Lebens, des Gebets und des Lernens, eine neue Form des Ideals der ersten Universitäten. In diesem Zusammenhang sehe er ein Beispiel im Dienst der Seelsorger in Krankenhäusern, in der Armee und in Gefängnissen - "sie sind für alle da, nicht nur für die Gläubigen". Vielen neuen Bewegungen in der Kirche stehe Halik "eher skeptisch" gegenüber, "vor allem, wenn sie einer sektiererischen Mentalität unterliegen". Positiv sehe er hingegen offene Gemeinschaften wie Taizé oder Sant'Egidio.
Für Halik ist es an der Zeit für ein neues Konzil. Ob ein solches durch den von Papst Franziskus angestoßenen weltkirchlichen "Synodalen Prozess" angestoßen werden könne, bleibe abzuwarten. "Das postmoderne Zeitalter bringt neue Zeichen der Zeit mit sich - und damit die Notwendigkeit, sich theologisch und geistlich auf den nächsten Schritt vorzubereiten." Dies sei die "synodale Reise", zeigte er sich überzeugt.
Die "universelle Bruderschaft", von der in der prophetischen Enzyklika "Fratelli tutti" die Rede ist, sei ein eschatologisches Ziel - der Weg wird durch die ganze Geschichte führen. "Auf diesem Weg sind jedoch bestimmte Schritte erforderlich, um das gegenseitige Wissen und die gegenseitige Anerkennung zu vertiefen." Ökumenische Begegnungen könnten immer eine Ermutigung sein, diesen Weg weiterzugehen, so der Theologe.
Reformvorschläge nicht herunterspielen
Vorschläge zur Modernisierung der Strukturen und der Organisation der Kirche würden seit mehr als hundertfünfzig Jahren gemacht. Einige seien dabei auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil umgesetzt und blieben unvollendet, andere würden durch die gegenwärtige Kurienreform herbeigeführt. Viele Vorschläge entstünden auch im Rahmen des "Synodalen Wegs" der Kirche in Deutschland. "Diese Stimmen und Vorschläge dürfen nicht zum Schweigen gebracht oder heruntergespielt werden", so Halik. Er sei davon überzeugt, dass "ein wirklich gründlicher Umbau eines Hauses nicht mit dem Dach beginnen kann. Wir müssen uns ansehen, wo wir mit dem Fundament des Hauses stehen".
Mit dem Vergleich, der katholischen Kirche könnte es ähnlich ergehen, wie der Sowjetunion, fange er hingegen wenig an. Stattdessen höre er öfter den Vorwurf, dass Papst Franziskus und seine Reformen den Zusammenbruch der Kirche herbeiführen würden, "so wie Gorbatschows Reformversuch den Untergang der Sowjetunion herbeigeführt hat". In der Tat erinnere Franziskus' Aufruf zu Offenheit und Selbstkritik an Gorbatschows "Glasnost" und den synodalen Weg von Gorbatschows "Perestroika", so Halik.
Menschen, die dies fürchten, zeigten letztlich, dass sie die Kirche als totalitäres System verstehen und diese Form bewahren wollen, so der Soziologe. Ihre Ängste seien verständlich, denn das System der Kirche, das als Gegenkultur zum Protestantismus und zur Moderne entstanden sei, "hatte und hat viele totalitäre Züge". Diese seien durch die Reformen von Papst Franziskus "tatsächlich bedroht". Er unterstütze aber den Reformkurs des Papstes, "weil ich glaube, dass die Kirche mehr ist als ein totalitäres System und dass der Zusammenbruch dieses Systems den wahren Kern der Kirche befreien und wiederherstellen kann", so der Prager Theologe.
Quelle: kathpress