Podiumsdiskussion: "Religion nur glaubhaft, wenn sie sich hinterfragt"
Ob und wie religiöses Bekenntnis heute von gesellschaftspolitischer Relevanz ist, war Thema einer hochkarätigen Podiumsdiskussion, die am Mittwochabend in Stift Klosterneuburg stattgefunden hat. Die Stimme der Religion sei "gerade heute gefragt", befand dabei die Kunsthistorikerin Maria Theisen, die als Kuratorin der aktuellen Jahresausstellung des Stifts gleich eingangs Parallelen der Gegenwart zu früheren Krisenzeiten zog. Religion könne auch im säkularen Staat das Zusammenleben mitgestalten und Frieden und Toleranz fördern. Problematische Entwicklungen wie etwa eine religiöse Rechtfertigung von Kriegen zeigten jedoch auf, "dass religiöse Gemeinschaften nur dann glaubhaft sind, wenn sie sich selbst immer wieder auf den Prüfstand stellen", befand die Expertin.
Am Podium im Augustinussaal saßen neben Theisen der Wiener Moraltheologe Prof. Matthias Beck, die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak, Eytan Reif von der Initiative "Religion ist Privatsache" sowie die Philosophin Lisz Hirn. Ein gemeinsamer Nenner war angesichts der unterschiedlichen Blickrichtung auf Religion schwer auszumachen. Religion verliere einerseits in Europa an Bedeutung, anderseits nähmen fundamentale Strömungen weltweit zu und die Relevanz von Religion in der Politik steige. Die Kirche sei im Umbruch, werde aber bestehen bleiben - oder eben vielleicht auch nicht, so ein kleiner Einblick in die Breite der dargelegten Ansichten.
Religion im Umbruch
Einen "Bedeutungszuwachs von Religion in politischen Kontexten" attestierte etwa die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak. Religionsgemeinschaften hätten dabei eine durchwegs ambivalente Rolle als politische Player, so die Wiener Werteforscherin mit Verweis auf Verknüpfungen fundamentalistischer Strömungen zu politischen Rechtsparteien. Intern erlebten Religionen zumindest in Europa jedoch auch einen starken Umbruch, gekennzeichnet durch rapide Abnahme traditioneller Religiosität und von Vertrauen in die Kirche, was sich durch die Corona-Pandemie noch beschleunigt habe. Gleichzeitig werde auch intern über die Frage gestritten, was die "richtige Religion" sei - ausgetragen etwa im Bereich der Geschlechtsidentität oder von Paarbeziehungen.
Einfach totsagen dürfe man Religion nicht, betonte die Philosophin Hirn, die eine Politisierung von Religion und Zunahme deren Bedeutung für das Leben Jugendlicher insbesondere im Islam sah. Zugleich gebe es jedoch auch viel Unwissen über die eigene Religion, bei deren Übernahme es oft vor allem um Identität und Gruppenzugehörigkeit gehe. Zwischen einer gläubigen und einer auf sozial-politischen Druck reagierenden Form des Islam - Stichwort Kopftuch-Debatte in vielen Ländern - gelte es jedenfalls zu unterscheiden.
Der Moraltheologe Matthias Beck machte hinter einem grassierenden Atheismus vor allem ein "schlecht vermitteltes Christentum" als Grund aus. Auch wenn das Christentum nach außen hin den Gemeinschaftscharakter betone, gehe es im Glauben doch letztlich um eine persönliche Gottesbeziehung und das Individuum in seinem Ringen um "gelingendes Leben", so Beck. Die christlichen Ansätze zur Menschenwürde seien heute in Europa in Gesetze gegossen, jene über das Innenleben des Menschen seien jedoch "verwahrlost und nur noch von der Psychologie abgedeckt". Dass der Zugang dazu oft verschüttet sei, sah der Mediziner und Priester als wichtigen Grund für die steigende Zahl von Depressionen und Burn-out-Betroffenen.
Eytan Reif, Mitbegründer der Initiative "Religion ist Privatsache", hielt dagegen fest, Religion sei "noch nie so irrelevant" gewesen wie heute und sollte daher auch nur noch als Privatsache verstanden und aller "Privilegien" enteignet werden. Dass die Kirche auch den Humanismus und Themen wie Umweltschutz übernommen habe, sei zwar löblich, für ihn deute es jedoch auf "jenen Wertenihilismus, den man uns Atheisten vorwirft". Schließlich sei Religion "nicht immer gut" und könne durchaus "gute Menschen Schlechtes tun lassen", wie dies aktuell die Unterstützung des russischen Angriffs auf die Ukraine durch den orthodoxen Patriarchen Kyrill I. vor Augen führe. Vermeintliche Pluspunkte wie die Caritas basierten hauptsächlich auf Spenden oder öffentliche Unterstützung und seien somit nicht der Kirche zuzurechnen. Weiters sprach sich Reif auch für einen Ethikunterricht in Schulen aus, der kein "Zwangsersatz" für jene ohne Bekenntnis sein solle, sondern alle Kinder und Jugendlichen erreiche.
Suche nach der "guten Religion"
Bei der Frage nach den Aufgaben von Religion erklärte die Theologin Polak, diese allein vermöge es, Menschen eine nachhaltige "Zukunftsperspektive" zu bieten. Angesichts dessen, dass sich heute "immer weniger Menschen vorstellen, dass die Zukunft gut werden könnte", biete die Endzeit-Perspektive des Christentums eine "Verheißung, dass der Mist, in dem wir leben, nicht das letzte ist". Atheistische oder säkularistische Versuche, dasselbe nachzuahmen, hätten in Katastrophen gemündet. Dem hielt die sich als "Agnostikerin mit katholischem Hintergrund" bezeichnende Philosophin Liz Hirn Studien entgegen, wonach atheistisch erzogene Kinder "moralisch besser" als religiöse erzogene handelten, weil sie Entscheidungen anders - über "Vernunft, Verstand und Kooperation" - rechtfertigten.
Ausstellung "Kampf um den rechten Glauben"
Anlass und Ausgangspunkt der Debatte war die noch bis 15. November in der Sala terrena Galerie des Stiftes Klosterneuburg zu sehende Jahresausstellung 2022, die sich dem "Kampf um den rechten Glauben rund um Wien im 15. Jahrhundert" widmet. Wie der Administrator von Stift Klosterneuburg, Prälat Maximilian Fürnsinn, in seinen Begrüßungsworten betonte, sei es ein Anliegen seiner Mönchsgemeinschaft, Klosterneuburg stärker als einen "Ort des Gesprächs" zu etablieren.
So findet bereits am 7. September (19 Uhr) eine zweite Diskussion vor dem Hintergrund der Ausstellung statt. Zum Thema "Im Kampf für Gott. Weltreligionen und Gewalt(losigkeit) - angesichts von Kriegen" sprechen dabei der Religionswissenschaftler Prof. Johann Figl, der Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, Gerhard Weissgrab, Carla Amina Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, sowie der Innsbrucker Sozialethiker und "Pax Christi Österreich"-Präsident Wolfgang Palaver.
Quelle: Kathpress