Krieg: Sozialethiker besorgt über sinkende Solidaritätsbereitschaft
"Solidarität kostet - ihr Mangel noch unvergleichlich mehr!" Mit dieser Warnung hat sich der Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreich (ksoe), Markus Schlagnitweit, zur internationalen Sanktionspolitik gegen Russland und die damit verbundenen Belastungen geäußert. Verschärft durch Klimaerwärmung und Covid-Pandemie griffen die Sanktionen gegen den militärischen Aggressor hart in individuelle wie gesamtgesellschaftliche Lebenskonzepte ein. Viele Menschen fühlten sich dadurch überfordert, erklärte der Sozialethiker in einer Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress. Die zuletzt auch in Österreich sinkende Solidaritätsbereitschaft sei "deshalb zwar nachvollziehbar, sie ist aber dennoch gefährlich und erfüllt mit ernster Sorge".
Laut einer am Mittwoch vom "Standard" veröffentlichten "Market"-Umfrage sind aktuell nur 25 Prozent völlig, weitere 21 Prozent überwiegend damit einverstanden, dass Österreich die EU-Sanktionen gegen Russland mitträgt. Diesen 46 Prozent Befürwortern stünden 40 Prozent gegenüber, die überwiegend (18 Prozent) oder ganz sicher (22 Prozent) gegen die Sanktionen sind. Bei der Empfehlung, Österreich solle "Auf eine freundlichere Politik der EU gegenüber Russland hinarbeiten", steht es 43 zu 42 Prozent zwischen Gegnern und Befürwortern.
Dazu gab Schlagnitweit zu bedenken: Ein Angriff auf die territoriale Integrität und politische Souveränität eines völkerrechtlich anerkannten Staates wie am 24. Februar auf die Ukraine betreffe nie nur diesen selbst, sondern die gesamte Staatengemeinschaft. Diese müsse ein originäres Interesse an der Respektierung und Einhaltung der in der UN-Charta verbrieften Friedensordnung haben, die ein absolutes Verbot militärischer Aggression zwischen souveränen Staaten vorsieht. "Russland stellt mit seinem Angriffskrieg also nicht nur die völkerrechtlich anerkannte staatliche Integrität der Ukraine infrage, sondern die gesamte internationale Friedensordnung", argumentierte Schlagnitweit. Russland habe mit seinem Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta also nicht nur die Ukraine in einen Krieg gezogen, sondern die gesamte internationale Staatengemeinschaft.
"Kein Staat existiert isoliert für sich"
An diesem Punkt werde deutlich, dass Solidarität im Sinne der Katholischen Soziallehre nie nur eine moralische Haltung bzw. Gesinnung meint, sondern letztlich eine "Seins-Tatsache" im Sinne von: "Kein Staat existiert isoliert für sich, sondern ist immer Teil eines internationalen Haftungsverbundes." Der Anspruch "Einer für alle - alle für einen" bedeute höhere Sicherheit und Krisen-Resilienz für alle Mitglieder des Haftungsverbundes und erfordere auch die Bereitschaft, Kosten gemeinsam zu tragen - und zwar nach Maßgabe des jeweiligen Vermögens der einzelnen Mitglieder, wie der Sozialethiker festhielt. Bloße "Trittbrettfahrerei" schwäche die gesamte Solidargemeinschaft.
Wenn also im konkreten Anlassfall ein Staat Solidaritäts- und Verteidigungsbereitschaft gegen Verletzungen der internationalen Friedensordnung vermissen lässt, "stellt er im selben Moment diese selbst infrage und schwächt sie", warnte Schlagnitweit. "Das kann nicht im Sinn verantwortungsvoller Politik sein." Letztlich würden im Ukraine-Konflikt die Alternativen lauten: absolutes Bekenntnis zu UN-Gewaltverbot bzw. UN-Friedensordnung, inklusive der damit einhergehenden Solidaritätskosten, oder aber Zustimmung zur Etablierung eines geopolitischen "Faustrechts". Dies könne auf lange Sicht nicht einmal im Interesse der stärksten Mitglieder der Staatengemeinschaft liegen, betonte der Theologe.
Für Lastenausgleich der Sanktionierenden
Schlagnitweit räumte ein, dass politische Maßnahmen zur Verteidigung der Friedensordnung schwer oder gar nicht tragbare Rückwirkungen zur Folge haben können - sei es für einzelne Mitglieder der Staatengemeinschaft oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen innerhalb derselben. Solidarität verpflichte in diesem Fall nicht nur gegenüber einem unmittelbar existenzbedrohten Mitglied der Staatengemeinschaft wie der Ukraine, sondern auch gegenüber allen von den Lasten der Solidarhandlungen besonders negativ Betroffenen. Da ein Bündnis immer nur so stark sei wie seine schwächsten Glieder, müssten "die Lasten von Solidarhandlungen so verteilt werden, dass sie auch von allen mitgetragen werden können", betonte der Sozialethiker.
Angesichts der stark strapazierten Solidaritätsbereitschaft sei also immer wieder darauf hinzuweisen: "Starke Solidarität stärkt alle Beteiligten; sie kostet aber auch." Schwache oder gar keine Solidarität in der Bewältigung von Krisen "kostet aber noch unvergleichlich mehr - auf alle Fälle langfristig", so die Überzeugung Schlagnitweits. Er forderte in der aktuellen Krise einen langen Atem, eine nüchtern-realistische Kommunikation über die negativen Folgen schwacher Solidarität und verständliche Erklärungen von Solidarmaßnahmen. Vor allem aber sei Unterstützung nicht nur für die unmittelbar betroffenen Opfer einer Krise angezeigt, sondern auch für die von den Kosten der internationalen Solidarität am stärksten belasteten Bevölkerungsteile und Gesellschaftssektoren.
Quelle: kathpress