Kirchenvertreter: Hiroshima-Gedenken im Zeichen des Ukraine-Kriegs
Hochrangige Vertreter der christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich sehen den diesjährigen Hiroshima-Gedenktag am 6. August vor dem Hintergrund des aktuellen Ukraine-Kriegs als besonders dringlich an. "77 Jahre nach den Atombombenschlägen auf Hiroshima und Nagasaki, nach Jahrzehnten des Kalten Krieges, aber auch des Versöhnungswerks der jüngeren Vergangenheit, finden wir uns in einer Welt wieder, in der die Drohung eines nuklearen Angriffs direkt in unserer Nachbarschaft ausgesprochen wird", wies etwa der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, der Salzburger Erzbischof Franz Lackner, in seiner Kathpress vorliegenden Stellungnahme zum Gedenktag hin. Und schloss die betroffene Frage an: "Wie konnte es so weit kommen?"
Zu den Atombombenabwürfen des Jahres 1945 und der damit verbundenen Hiroshima-Aktion in Wien äußerten sich u.a. auch Kardinal Christoph Schönborn, "Pax Christi"-Bischof Hermann Glettler (Innsbruck), der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl, der Wiener Weihbischof Stephan Turnovszky, "missio"-Nationaldirektor P. Karl Wallner, "Pax Christi Österreich"-Präsident Wolfgang Palaver, die Theologen Paul Zulehner, Ingeborg Gabriel und Eugen Drewermann, Religionsdialog-Experte Martin Jäggle, weiters die evangelischen Superintendenten Matthias Geist (Wien), Gerold Lehner (Oberösterreich) und Olivier Dantine (Salzburg/Tirol), der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld, der altkatholische Heinz Lederleitner, der Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer und der Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, Gerhard Weißgrab.
Die Hiroshima-Gruppe Wien, Pax Christi Wien und die Wiener Friedensbewegung setzen am Samstag, 6. August, am Wiener Stephansplatz ab 18 Uhr ein Zeichen "für die Opfer militärischer und ziviler Atomanwendung", ab ca. 20.30 Uhr ist ein Laternenmarsch zur Karlskirche geplant. "Nur eine Welt ohne Atomwaffen ist eine sichere Welt!", heißt es in der Ankündigung.
Lackner erinnerte in seinem Statement zum Hiroshima-Tag an ein auch von Papst Franziskus in Kanada zitiertes Wort des Schriftstellers Elie Wiesel: "Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit." Der Erzbischof fügte hinzu: "Auch das Gegenteil von Frieden ist nicht der Krieg, sondern Gleichgültigkeit." Er sehe die Gefahr, den Krieg als "normal" zu betrachten, als ein "Hintergrundrauschen, das uns mehr schon lästige Gewohnheit ist als betroffen machende Tragödie". Lackners Appell: "Geben wir uns dieser Gleichgültigkeit, die am Ende Krieg und Tod bringt, nicht hin... Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um eine erneute Katastrophe wie jene der Atombomben auf Japan zu verhindern."
Schönborn: Angst vor neuem Atomkrieg
Kardinal Schönborn erwähnte in seinem Kathpress vorliegenden Grußwort die Konferenz der Staaten, die den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichneten, vor wenigen Wochen in Wien. "Das Thema ist aktueller denn je, seit Russland seine Atomwaffen in Alarmbereitschaft gesetzt hat. Die Angst vor einem neuen Atomkrieg ist spürbar." Trotz des Wissens um die katastrophale Wirkung dieser Vernichtungswaffen würden die großen Atommächte weiter aufrüsten - und noch mehr Staaten, die nukleare Sprengsätze entwickeln, kämen hinzu. "Wie viel Hunger auf der Welt könnte mit dem Geld gelindert werden, das für die Wartung und Entwicklung von Atomwaffen verschwendet wird!", wandte sich der Wiener Erzbischof gegen "eine der grausamsten Erfindungen des Menschen".
Wie schnell ein sicher geglaubter Friede verloren gehen kann, sei aktuell am Krieg in der Ukraine erkennbar, wies auch Bischof Hermann Glettler als Referatsbischof für "Pax Christi" hin. Die Angst vor einer Eskalation der aktuellen Kriegshandlungen mit dem Einsatz nuklearer Waffen sei berechtigt - trotz der vielen Beschwichtigungen, dass es sich um eine übliche "Abschreckungsrhetorik" handle. Glettlers Überzeugung: Friedensarbeit benötige dieselbe Intelligenz, Energie und Investitionsbereitschaft für eine gerechte Weltordnung wie die "Erfolgsbranche" der weltweiten Kriegsindustrie.
Christliche Nächstenliebe scheine angesichts des "russischen Aggressionskrieges" ebenso wie die aufgeklärte Vernunft am Abstellgleis zu stehen, beklagte der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl: "Dennoch glaube ich und bin überzeugt, dass sich mit Gottes Hilfe das Gute durchsetzen wird."
"Si vis pacem para bellum" ist obsolet
Ein Ende des Prinzips, im Besitz von Waffen eine Grundlage des Friedens zu erblicken, forderte der Theologe Eugen Drewermann gemeinsam mit allen Friedensbewegten: "Wir wollen Abrüstung statt Aufrüstung; wir sagen: bereits der Besitz von A-Waffen ist ein Verbrechen." Staaten müssten miteinander so umgehen, "wie wir es als Menschen im Umgang miteinander für normal und richtig halten: Man hilft einander und erpresst sich nicht mit mörderischen Drohungen."
Auch Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, hält das Prinzip des Alten Rom - "Si vis pacem para bellum" (Willst du den Frieden, so bereite den Krieg vor) - für verfehlt. Denn es erkläre Krieg zur Normalität menschlicher Kultur, "als ob menschliche Kultur ohne Krieg unmöglich, ja unvorstellbar wäre". Eine Politik der Angst und Gewalt führe keinesfalls zum Frieden, sondern zum "Gleichgewicht des Schreckens" auf Kosten vieler Unschuldiger, wies Jäggle hin.
Das Motto müsse jetzt lauten: "Si vis pacem, para iustitiam" (Willst du Frieden, kümmere dich um Gerechtigkeit), regte der Wiener Theologe Paul Zulehner an. Der gerechte Friede müsse den vermeintlich "gerechten Krieg" ablösen. Dann habe die Menschheit die Chance, zu überleben.
Der Innsbrucker Sozialethiker und "Pax Christi Österreich"-Präsident Wolfgang Palaver verwies auf den Wandel in der katholischen Sichtweise eines "gerechten Kriegs". Seit der Enzyklika "Fratelli tutti" von Papst Franziskus (2020) gebe es keinen Zweifel mehr, "dass nicht nur der Einsatz von atomaren Massenvernichtungswaffen, sondern auch deren Besitz moralisch abzulehnen ist".
Atomenergie ein "Spiel mit dem Feuer"
Christen müssten nicht nur die völlige Ächtung und Bannung aller Atomwaffen fordern, "wir müssen auf ihre völlige Abschaffung hinarbeiten", forderte "missio"-Nationaldirektor P. Karl Wallner. Und auch das sei ihm noch zu wenig: "Denn Atomkraft an sich ist ein Spiel mit dem Feuer, ist ein Aufs-Spiel-Setzen der Zukunft der Erde!"
Auf die friedliche Nutzung der Atomenergie ging auch Landessuperintendent Thomas Hennefeld ein. Sie sei in Ländern und Regionen, in denen keine Kriege herrschen, mit hohen Risken und schwerwiegenden Folgen für die Umwelt verbunden. "Daher ist es völlig unverständlich und verantwortungslos, Atomstrom als grün zu deklarieren, wie die EU dies unlängst getan hat."
"Nicht Scharfmachern die Bühne überlassen"
Die früher für als OSZE-Sonderbeauftragte" tätige Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel schrieb: "Niemals in meiner und der meisten Lebenszeit war uns der Krieg in Europa so nahe wie jetzt, seine lebenszerstörenden Schrecken, seine Brutalität gegen alle und jeden." Bürgerkriege und zwischenstaatliche Kriege hätten selten die gesamte Welt in jener Weise betroffen, wie dies beim Ukrainekrieg nun Fall ist. Aller berechtigten Gegenwehr der Überfallenen zum Trotz muss der Friede laut Gabriel das Ziel bleiben, "selbst wenn dies zu sagen manchen bereits als Verrat erscheint". Um Frieden langfristig zu erreichen, gelte es, alle Chancen dazu nützen. "Alles andere hieße, Waffenlieferanten und politischen Scharfmachern die Bühne zu überlassen."
Frieden könne es nur mit einem weltweiten und vollständigen Bann der Atomwaffen geben, betonte Superintendent Olivier Dantine. "Dieses Potenzial an grenzenloser Zerstörung muss der Menschheit aus der Hand genommen werden."
Der altkatholische Bischof Heinz Lederleitner ermutigte alle politisch Verantwortlichen, Strategien zu entwickeln, die die Gewalt beenden und Perspektiven für eine bessere und friedlichere Welt ermöglichen: "Geben Sie nicht auf, dieses Ziel zu verfolgen!"
Quelle: kathpress