Pfarrer: "Wir sind Geiseln von Erdogans Krieg gegen die PKK"
Die türkischen Angriffe gegen Stellungen der PKK im Nordirak haben als negative Begleiterscheinung verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Darauf hat am Donnerstag das Linzer Hilfswerk "Initiative Christlicher Orient" (ICO) einmal mehr aufmerksam gemacht. Das Hilfswerk verweist auf das jüngste Interview des chaldäischen Priesters Samir Yousif gegenüber dem Infoportal "AsiaNews", in dem dieser ein Ende der türkischen Offensive im Nordirak forderte. Der Priester übte zugleich aber auch Kritik an der PKK und an den irakischen Institutionen, die nicht in der Lage wären, Sicherheit und Frieden zu schaffen: "Wir sind Geiseln von Erdogans Krieg gegen die PKK."
P. Samir äußerte sich kurz nach dem verheerenden Artillerieangriff auf ein Touristenressort in der nordirakischen Region Zakho, bei der neun Menschen, darunter auch Kinder, ums Leben kamen. "Jede Woche sterben Menschen durch diese Angriffe, auch ich war schon in Gefahr, getroffen zu werden. Ankara muss gestoppt werden."
Irakische Behörden sprachen nach dem Massaker in Zakho von 155-mm-Granaten der türkischen Armee, Ankara dementierte, UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte eine "gründliche Untersuchung". In den Bergen oberhalb von Zakho sei die Offensive laut P. Samir auch nach dem Massaker aber weitergegangen. "Die Türken beschießen unsere Berge überall", so der chaldäische Priester. "Jede Woche sterben bei uns zwei, drei, zehn Menschen, das ist auch in unserem Distrikt Amadiya passiert."
Die PKK verlegte ihr Hauptquartier und zahlreiche Stützpunkte in den früheren 1990er-Jahren in die nordirakische Grenzregion zur Türkei. Dabei wurden aber nicht nur grenznahe Gebirgszüge in Beschlag genommen, sondern auch einige Regionen, die weiter im Landesinneren liegen. Die PKK gilt in der Türkei, Europa und den USA als Terrororganisation. Ihr Hauptquartier befindet sich in den nordirakischen Kandil-Bergen. Sie verübt auch regelmäßig Anschläge auf türkische Militäreinrichtungen im Nordirak.
Einige abgelegene Dörfer im Nordirak stehen seit den 1990er-Jahren de facto unter Kontrolle der PKK; mit weitreichenden negativen Konsequenzen für die Bevölkerung. In einer Studie des "Assyrian Policy Instituts" (API) vom Jänner 2021 ist abgesehen von der schlechten Sicherheitslage von Landenteignungen die Rede, aber auch von Versorgungsschwierigkeiten der örtlichen Bevölkerung, wenn etwa Straßen geschlossen sind. Die kurdische Regionalregierung hat jedenfalls keine Kontrolle über bestimmte Gebiete.
Kirchliche und politische Vertreter der Christen hatten in den vergangenen Jahren zum einen an die Türkei appelliert, in den Gebieten mit Zivilbevölkerung keine militärischen Operationen durchzuführen, und zum anderen wurde die PKK aufgefordert, sich aus solchen Regionen zurückzuziehen. Bislang freilich ohne Erfolg.
Die Zivilbevölkerung ist der PKK weitgehend schutzlos ausgeliefert. P. Samir: "Die PKK-Milizen bewegen sich mit ihren Autos ohne Kennzeichen in den Bergen, sie gehen in die Dörfer, um Lebensmittel zu holen. Als ich einmal von der Messe in einem Dorf zurückkam, hielten sie bewaffnet mein Auto an. Sie zwangen mich, sie zum Essen zu bringen. Am Himmel flogen türkische Flugzeuge und Drohnen. Wenn die uns entdeckt hätten, hätten sie uns definitiv bombardiert", so der Priester. Ein anderes Mal habe er PKK-Leute an einer Tankstelle gesehen. Als er wenig später wieder an dieser vorbeifuhr, war sie bereits bombardiert worden. "Es gab nicht einmal mehr eine Straße."
P. Samir beklagte gegenüber "AsiaNews" die Schwäche der irakischen Institutionen: "Heute verurteilt jeder im Irak die Türkei für den Angriff, aber was wurde bisher getan?"
Samir Yousif ist seit Jahren ein enger Projektpartner der ICO. Über die chaldäische Pfarre Enishke wird etwa regelmäßig die regionale ICO-Winternothilfe abgewickelt, bei der hunderte Familien mit Heizmaterial versorgt werden. Auch die lokale Corona-Nothilfe läuft über die Pfarre. Die Pfarre kümmert sich auch um hunderte Flüchtlinge aus der irakischen Ninive-Ebene und aus Syrien; neben Christen vor allem Jesiden, aber auch vereinzelt Muslime. Auch im Nordirak seien die Folgen des Ukrainekrieges dramatisch, so Pfarrer Samir, "die Preise sind in die Höhe geschossen". Trotz vielfacher Schwierigkeiten versuche die Pfarre aber, ihre sozialen Aktivitäten fortzusetzen.
(Infos: www.facebook.com/initiativechristlicherorient/)
Quelle: kathpress