Scheuer hinterfragt zum Welttag der Senioren "Jugendlichkeitskult"
Die heutige, an einem "Jugendlichkeitskult" orientierte Gesellschaft wäre äußerst schlecht beraten, wenn sie die Potenziale der Seniorinnen und Senioren nicht wahrnehmen oder außer Acht lassen würde. Das hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer im Vorfeld des kirchlichen Welttags der Großeltern und Senioren am kommenden Sonntag, 24. Juli, betont. Der Maßstab der materiell verwertbaren Leistungsfähigkeit dürfe dabei nicht der bestimmende sein: "Es sind die Erfahrungen, das Wissen und der Überblick, aber auch die Entwicklungsfähigkeit und die Lernbereitschaft im Alter, die als Schätze da sind - es sind Potenziale, die man heben muss und nicht leichtfertig darauf verzichten darf", erklärte Scheuer.
Der Bischof und frühere Theologieprofessor äußerte in seinem Kathpress vorliegenden Beitrag für die deutsche Zeitschrift "Praedica Verbum" die Überzeugung, eine zukunftsorientierte Gesellschaft könne es sich nicht leisten, auf eine "Kultur der Altersfreundlichkeit" zu verzichten. Eine solche Kultur leugne nicht die Rechte, Ansprüche und Bedürfnisse jüngerer Menschen, sondern bemühe sich vielmehr darum, allen Generationen gerecht zu werden.
Scheuer zitierte den deutschen Philosophen Ernst Bloch hat, der in seinem Werk "Das Prinzip Hoffnung" die gesellschaftliche Tendenz beklagte, "sich verzweifelt auf Jugend zu schminken" und das Entwicklungspotenzial im hohen Alter zu verkennen bzw. geringzuschätzen. Dieser "Jugendlichkeitskult" komme etwa in dem paradoxen Wunsch vieler zum Ausdruck, möglichst lange zu leben, aber nicht alt zu werden. "Forever young" ist laut Scheuer das Motto über einem Großteil der Anti-Aging-Bewegung.
Der zivilisatorische Fortschritt ermögliche immer mehr Menschen ein langes Leben. Zugleich werde Autonomie und Selbstständigkeit in einer Weise überbetont, die ein Abhängigwerden von anderen im Stadium des Hochbetagtseins als "entwürdigend" erscheinen lässt. Wahr sei jedoch, dass das Ziel, stets unabhängig zu sein, nur für begrenzte Zeit erreicht werden kann, erklärte Scheuer. Er kritisierte auch Hochstilisierung ein durch Fitness und Wellness akzentuiertes Ideals nach dem Motto "Gesundheit als höchstes Gut!", das jede psychisch-somatische Beeinträchtigung als Infragestellung von Lebenswert und Lebenssinn verstehe. Demgegenüber hielt der Bischof fest: In jeder Lebensphase - egal ob als Kleinkind oder Greis - "sind wir ganz Mensch".
Wertschätzung für "biblisches Alter"
Eine ganz andere Logik als die heute vorherrschende sei im Alten und Neuen Testament auszumachen. Dort gelte der alte Mensch als weise und lebenserfahren, hohes, ja "biblisches Alter" als Gottesgeschenk. Das Altern sei auch eine Zeit der Ernte und der Bilanz mit mehr Räumen und Zeiten für Religiosität und Spiritualität; dazu gehöre es, das Positive des Lebens wahrzunehmen und aufzugreifen nach dem Dichterinnenwort von Hilde Domin: "Es blüht hinter uns her." Und nicht umsonst heiße es in den Psalmen, dass es in das "Land der Finsternis" führe, das Gute zu vergessen: "Dankbarkeit hat eine befreiende Wirkung", betonte Scheuer.
"In jeder Lebensphase gibt es Chancen und Gefährdungen", enthielt sich der Bischof auch jeglicher Idealisierung des Alters. Die Herausnahme aus dem vertrauten Arbeitsprozess könne zu einem Gefühl der Isolierung führen, zu Depressionen, Pensionierungsneurosen oder Hypochondrie. Durch leiblich erkennbaren Leistungsverlust, durch den Rückgang des Erinnerungsvermögens und auch durch emotionale Labilität komme es auch häufig zu Veränderungen der Persönlichkeit.
Alter schafft Raum für Zu-kurz-Gekommenes
Dennoch: "Das Alter schafft Raum für Werte, die ohne weiteres für unser ganzes Leben wichtig und kostbar sind, aber manchmal zu wenig Chance bekamen, sich zu entfalten." Als Beispiele nannte Scheuer die Muße, ruhig einem Menschen zuzuhören, der uns nahesteht; die Befreiung von Zwängen; die Möglichkeit, "in bewussten Kontakt mit der Quelle unseres Wesens zu treten" bzw. "die Reise nach innen anzutreten"; die Chance, wichtige Erinnerungen hochkommen zu lassen und in Ruhe auszukosten. "Es braucht Ehrlichkeit und auch Demut, zum Altwerden zu stehen und es wirklich anzunehmen", hielt der Bischof fest. "Wenn dies jedoch gelingt, kann das Alter zu einer Bereicherung und zu einer Gnade werden."
Den Welttag der Großeltern und älteren Menschen hatte Papst Franziskus 2020 ausgerufen. Er findet jährlich am vierten Sonntag im Juli statt, rund um den Gedenktag der heiligen Anna und Joachim, den Eltern Marias und damit den Großeltern Jesu.
Quelle: kathpress