Tück: Messianisches Judentum ist "Stachel im Fleisch der Theologie"
Als eine "produktive theologische Irritation" hat der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück den Dialog mit dem messianischen Judentum bezeichnet. Messianische Juden bekennen sich zu Jesus als dem Messias Israels, legen aber zugleich Wert darauf, Juden zu bleiben und keiner christlichen Kirche beizutreten. Sie seien insofern "ein Stachel im Fleisch der christlichen Theologie", als sie die Frage aufwerfen, "wie das Verlorene wiedergewonnen und die Kirche der Völker erneut Kirche aus Juden und Heiden werden kann", so Tück gegenüber Kathpress.
Jan-Heiner Tück im Interview
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Tück wörtlich: "Die Hoffnung, dass das Ur-Schisma zwischen Israel und der Kirche am Ende nur durch Gott selbst geheilt werden kann, findet einen konkreten geschichtlichen Anker darin, dass messianische Juden sich selbst als missing link zwischen Israel und Kirche verstehen." Sie würden andere Juden damit konfrontieren, dass sie jahrhundertelang ihren "Bruder Jesus" nicht beachtet haben; zugleich erinnern sie die Kirche daran, dass sie schon in den ersten Jahrhunderten die Judenchristen durch eigene Schuld verloren hat - "eine echte Provokation", so der Theologe.
Tück äußerte sich im Gespräch mit Kathpress im Anschluss an eine Tagung an der Universität Wien. Sie stand unter dem Titel "Jesus - also the Messiah for Israel? Messianic Jewish Movement and Christianity in dialogue" und versammelte vom 11. bis 13. Juli internationale Fachleute aus elf Nationen, um erstmals im deutschsprachigen Raum den Dialog zwischen Christentum und messianischem Judentum akademisch zu führen. Schirmherr war Kardinal Christoph Schönborn, der einer Arbeitsgruppe des Heiligen Stuhls vorsteht, die bereits seit dem Jahr 2000 den Dialog mit den messianischen Juden - einer stark wachsenden Gruppe von geschätzt etwa 200.000 Gläubigen - vorantreiben möchte.
Nicht mehr als Juden anerkannt
Gleichwohl bleibe das Thema "delikat", führte Tück weiters aus: Messianische Juden würden innerhalb des Judentums nicht mehr als Juden anerkannt. Auch die Katholische Kirche sei bislang eher zurückhaltend gewesen, da sie die Errungenschaften des jüdisch-christlichen Dialogs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) nicht gefährden wolle. Teile der messianisch-jüdischen Bewegung seien stark vom charismatisch-evangelikalen Christentum beeinflusst und praktizierten partiell auch Judenmission. Von organisierter Judenmission aber hat sich die Katholische Kirche ausdrücklich abgekehrt und anerkannt, dass Israel im ungekündigten Bund mit Gott stehe.
Eine "produktive Irritation" bringe das Thema auch im Blick auf die Eschatologie und die Frage der Landverheißung: Viele messianische Juden glauben, dass mit der Wiederkunft (Parusie) Christi Israel wiederhergestellt werde und geschichtlich-konkret ein 1.000-jähriges messianisches Friedensreich beginne. Die Parusie-Vergessenheit der christlichen Kirchen stellen sie damit in Frage. Zugleich geben sie den Anstoß, eine spiritualisierende und individualisierende Engführung der Eschatologie zu überwinden und auch die konkrete-geschichtliche Dimension der Heilshoffnung zu bedenken. Dabei sei die "tastende Deutung" der Wiederkehr vieler Juden in das Land Israel als "Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk" nicht zu verwechseln mit einer religiösen Legitimation der Politik des Staats Israel. Politische Messianismen seien "theologisch inakzeptabel", so Tück.
Unter den Referenten der Tagung waren neben Tück der Wiener Alttestamentler Prof. Ludger Schwienhorst-Schönberger, der Judaist P. Christian Rutishauser SJ, der Tübinger Neutestamentler Prof. Michael Theobald, die Luzerner Dogmatikerin Prof. Ursula Schumacher, sowie zahlreiche internationale Experten wie Gavin d'Costa und Richard Harvey (beide Großbritannien), R. Kendall Soulen (USA), Mark Kinzer (USA), David Neuhaus (Israel) und andere. Seitens der Erzdiözese Wien begleitete Diakon Johannes Fichtenbauer die Tagung.
Quelle: kathpress