Sozialethiker Sedmak: "Jede Krise hat ihre eigene Kraft"
"Jede Krise hat ihre eigene Kraft": Davon zeigte sich der Sozialethiker Clemens Sedmak im Interview mit der Salzburger Kirchenzeitung "Rupertusblatt" (aktuelle Ausgabe) überzeugt. Die Corona-Pandemie habe zwar die empirische Forschung bisher "massiv erschwert" - die Mobilität der Forschenden wurde eingeschränkt, der Konferenzbetrieb zurückgefahren - letztlich würden Wissenschaft und Forschung aber aus Krisenzeiten als Gewinnerinnen hervorgehen, weil sich Fragen nach Anhaltspunkten und Daten stellten, betonte er.
Werden etwa während der Pandemie politische Entscheidungen auf Basis von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen begründet, so sei es im Ukraine-Krieg wichtig, Daten über das Kriegsgeschehen zu erheben, aber auch Fragen nach Ursachen, Implikationen, Zukunftsszenarien, völkerrechtlichen Konsequenzen zu stellen. "Dabei bleibt freilich das entscheidend, was man Weisheit und Klugheit nennen mag - ein 'Wichtigkeitswissen', ein Wissen um das, was zählt", unterstrich Sedmak.
Herausfordernd sei freilich auch die Frage nach dem Umgang mit der Klima-Krise: "Die Energiekrise, in der wir uns gerade befinden, schließlich, motiviert Forschung zu alternativen Energiequellen; allerdings sehen sich viele Kolleginnen und Kollegen gezwungen, auf die Dringlichkeit der ökologischen Krise aufmerksam zu machen."
Auch der Krieg in der Ukraine stelle eine Herausforderung für die Wissenschaft dar: So sei seine eigene Universität, die katholische US-Uni von Notre Dame, nicht nur in Forschungsprojekte zu Resilienz oder zum Wiederaufbau nach dem Krieg involviert, sondern ermögliche es auch ganz praktisch Forschenden und Lehrenden aus der Ukraine, ein Jahr an der Universität zu verbringen. Zugleich entstehe neuer Forschungsbedarf, etwa im Hinblick auf die Auswirkungen von Kriegspropaganda auf das Profil der "Osteuropastudien".
Im Vergleich zu Europa werden in den USA Fragen tendenziell mit einem Fokus das eigene Land bearbeitet, erklärte Sedmak: "Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für die amerikanische Wirtschaft, für die amerikanische Militärpräsenz in Europa, für das Verhältnis der USA zur Volksrepublik China." Dazu komme, dass in den USA ein substantieller Teil der Forschung von privaten Sponsoren unterstützt werde, was die Art der Projekte beeinflusse. "In Europa sehe ich dagegen größere Chancen für eine globale Perspektive." Dem Ukraine-Krieg sei Europa jedenfalls geografisch wie emotional näher.
Für Sedmak ist die Idee eines "globalen Gemeinwohls" eine der wichtigsten Perspektiven im 21. Jahrhundert. Die Pandemie habe die globalen Vernetzungen auf nachdrückliche Weise vor Augen geführt, führte er aus: "Das Virus hält sich nicht an Einreisebestimmungen." Der Krieg in der Ukraine verändere zudem die globale Sicherheitsordnung. Der Blick auf das globale Gemeinwohl lade dazu ein, weitere große Herausforderungen wie die Klima-Krise zu sehen und eine langfristige Perspektive einzunehmen. "Was wir jetzt tun, wirkt sich auf die Generationen, die nach uns kommen werden, aus", unterstrich Sedmak.
Begegnung von Wissenschaft und Kirche
"Die Kirche atmet mit den beiden Lungenflügeln von Vernunft und Glauben. Sie ehrt die Vernunftbegabung des Menschen und die Idee von Wissenschaft", aber die entscheidenden Fragen nach Sinn und Schöpfung, Gott und Heil, seien "wissenschaftlich nicht lösbar", gab Sedmak zu bedenken. "Konkret: Wohin wir nach dem Tod gehen - ist eine Frage des Glaubens, nicht des Wissens."
Clemens Sedmak wurde 1971 in Bad Ischl in Oberösterreich geboren. Die Laufbahn des Theologen, Philosophen und Sozialtheoretikers führte ihn u. a. an das Londoner King's College. Derzeit ist er in Salzburg Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung und Vizepräsident des internationalen Forschungszentrums (ifz). Seit 2018 lehrt Sedmak an der University of Notre Dame (Indiana/USA) auf einem eigenen Lehrstuhl für Sozialethik (an der Keough School for Global Affairs). Seit 2008 engagiert er sich in der Führungsethik und hat einen internationalen Lehrgang für Führungskräfte entwickelt. Sedmak ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Der Autor zahlreicher Publikationen und Bücher wohnt in den USA und Seekirchen am Wallersee.
Quelle: kathpress