Wiener Diözesansprecher: US-Urteil eine "Stärkung der Demokratie"
Als Meilenstein und "Zäsur für den Trend der Höchstgerichte, Herren statt Hüter der Verfassung zu sein" hat der Wiener Diözesansprecher Michael Prüller die Aufhebung des im Jahr 1973 gefassten Grundsatzurteil zu Schwangerschaftsabbrüchen in den USA durch den Supreme Court in Washington bezeichnet. Im Kern gehe es bei dem weltweit aufsehenerregenden Entscheid nicht darum, ob Abtreibung gut oder böse sei, sondern um die Rückgabe der Hoheit über Abtreibungsgesetze an die Parlamente. Wie auch immer man zu Abtreibung stehe, handle es sich dabei deshalb um einen guten Schritt, der die Demokratie in Amerika "und hoffentlich auch Europa" stärken könne, schrieb der Jurist und Publizist in seiner Sonntags-Kolumne der Tageszeitung "Die Presse".
Mit dem nunmehr aufgehobenen Entscheid "Roe vs. Wade" sei einst ein verfassungsmäßig geschütztes Grundrecht auf Abtreibung postuliert und damit den US-Bundesstaaten in bestimmtem Ausmaß Abtreibungsverbote verboten worden, erinnerte Prüller. Das jetzige Urteil im Fall "Dobbs vs. Jackson Women's Health Organisation" habe hingegen festgestellt, "dass ein Grundrecht auf Abtreibung eben nicht plausibel aus der US-Verfassung ableitbar ist".
Die Tragweite von "Dobbs" liege laut dem Sprecher von Kardinal Christoph Schönborn darin, dass der Trend gebremst werde, "dass Richter mittels einer immer freieren Interpretation die Verfassung ergänzen, was aber sinnvollerweise den Parlamenten zukommt". Denselben Trend gebe es auch in Europa, wo die "Generalbevollmächtigung, jeglichen Zeitgeist am Parlament vorbei in die Verfassung zu hieven", jedoch nicht ein Verfassungszusatz (im konkreten Fall der USA der 14.) sei, sondern die Menschenrechtskataloge im Verfassungsrang.
Als Schlüsselstelle in "Dobbs" bezeichnete Prüller eines der Kriterien, anhand derer man ein in der Verfassung nicht angeführtes Grundrecht als dennoch existent und vom Willen des Verfassungsgebers umfasst annehmen könne: Nämlich, dass es "ein wesentlicher Teil des Systems der geordneten Freiheit dieser Nation" sei. "Wenn man interpretiert, was mit, Freiheit' gemeint ist, muss sich das Gericht gegen die natürliche menschliche Neigung wappnen, das, was der 14. Verfassungszusatz schützt, mit den leidenschaftlichen Ansichten des Gerichts zu verwechseln, welche Freiheiten denn die Amerikaner genießen sollten", zitierte der Diözesansprecher aus dem Urteil. Richter dürften nur anwenden, was an Verfassung da ist. "Wollen sie selber Recht setzen, sollten sie in die Politik gehen."
Beim Thema Abtreibung sei die entscheidende Frage - ob es sich beim ungeborenen Kind um einen Menschen handelt, dem der Staat die schützende Hand nicht entziehen darf - eine weltanschauliche, und sie sei abhängig vom persönlichen Menschenbild. Prüller dazu: "Das gehört nicht im Supreme Court verhandelt, sondern im Volk, und ist daher Sache der Politik und der gewählten Volksvertreter." Überlasse man den Inhalt der Grundrechte den Höchstrichtern oder auch dem 18-köpfigen UN-Menschenrechtsausschuss, so dürfe man sich nicht wundern, "wenn immer mehr Menschen dagegen aufstehen, dass ferne Eliten über ihre Köpfe hinweg den Gang der Welt bestimmen", schrieb der Diözesansprecher.
Quelle: kathpress