Caritasdirektor zur Teuerung: Wir müssen bescheidener werden
Angesicht der Häufung von Krisen wie Klimawandel, Pandemie und Ukrainekrieg ist auch in Österreich die Einbuße von Wohlstand unausweichlich - und der Verlust auch zumutbar, solange dieser gerecht verteilt wird: Diese Einschätzung hat der scheidende Direktor der steirischen Caritas, Herbert Beiglböck, im Interview mit der "Kleinen Zeitung" (Sonntag) gegeben. Für die Dramatik der Situation herrsche allgemein noch relativ wenig Bewusstsein: "Wir versuchen noch immer, mit ein paar Geld-zurück-Paketen so zu tun, als ob alles so weitergehen könne wie bisher. Das ist ein Trugbild. Wir werden bescheidener werden müssen, trotzdem wird gutes Leben möglich sein", so der kirchliche Sozialexperte.
Die Pandemie habe die Menschen erleben lassen, "dass es auch mit weniger geht", zeigte sich Beiglböck zuversichtlich. Notwendig seien ein weiteres Nachdenken darüber, "was wir wirklich brauchen", und Reduktionen im Lebensstil besonders jener, für die "vier Urlaube im Jahr" bisher selbstverständlich gewesen seien. Wichtig sei, dass "nicht die Armen, sondern die Starken" die Hauptlast der Verluste trügen, hätten doch bisher die Vermögenden in der Krise ihr Vermögen noch erhöht, während die Masse die Teuerung tragen müsse. "Nicht ob, sondern wie wir zur Einfachheit fähig sind" sei die Frage. Diese sei alternativlos, denn: "Wir verteilen aktuell mehr, als wir haben."
Die jüngste Hilfspaket der Regierung bezeichnete Beiglböck als "Matte, die den Absturz abfedert". Auf Dauer brauche es jedoch nachhaltigere Lösungen, "die jenen, die ihr Leben am letzten Zacken gestalten, Spielraum geben". Derzeit verschlechtere sich die soziale Situation vieler Menschen in Österreich rapide: "Die Leute sind stark verschuldet, die Wohnung ist zu teuer, das Einkommen zu gering. Die Anfragen häufen sich, wo Leute sagen: 'Das geht sich nicht aus. Könnt ihr uns helfen, dass wir nicht delogiert werden?'", so die Erfahrung aus den Caritas-Sozialberatungen. Am deutlichsten seien die Veränderungen bei den Lebensmittelhilfen: In der Steiermark habe die Caritas in den vergangenen Jahren eine Tonne von diesen pro Tag ausgegeben, "jetzt liegen wir bei knapp eineinhalb Tonnen".
Politisch bereitet Beiglböck die Gefahr der Radikalisierung Sorgen. Mehr Dialog in der Gesellschaft sei nötig um zu verhindern, dass sich Leute betrogen fühlten, Feindbilder geschaffen würden und neue und unverständliche Positionen Widerstand und Wut hervorriefen. Im Gegensatz zu früheren Krisen vermisse er derzeit jedoch eine ausreichende Zahl von "Dialogpunkten" - "einzelne Personen, die Brücken bauen". Deshalb habe auch die Caritas ihre Position nach den Erfahrungen der Auseinandersetzung im Zuge der Flüchtlingswelle von 2016/16 verändert. Beiglböck: "Wenn man in einer Gesellschaft lebt, die weniger von Brüchen gefährdet ist, kann man stark anwaltschaftlich agieren. Wenn es Risse gibt, dann muss man auch zum Anwalt für das Gemeinsame werden."
Der Krisenzustand habe auch die Kirche erfasst, die ein "Wegsterben an Vertrauten" registriere und "zu leise und zu ängstlich" sei, befand der Caritas-Direktor. Derzeit sei man dort stark mit der Sicherung des eigenen Betriebs beschäftigt, was viel Kraft koste. Zu einer "Hoffnungsdimension" könnte die Kirche diese Situation dann umwandeln, wenn sie die Sorge um die materiellen Güter und die bloße Fortführung des bisherigen Angebotes ablegen könnte, so der Sozialexperte und Theologe. Wichtig wäre, auf die Sorgen der Menschen und Möglichkeiten ihrer Begleitung zu sehen und sich bewusst zu machen, dass man selbst viel zu bieten habe - vor allem eben die Hoffnung. Er selbst erlebe immer wieder, Menschen in Nöten wie etwa Arbeitslosigkeit oder ohne Pflegeplatz nicht weiterhelfen zu können. "Aber wenn sie das Gefühl haben, man hört ihnen zu, dann spüre ich diese Hoffnung ganz stark", unterstrich Beiglböck.
Der 1960 in Hartberg geborene studierte Theologe lenkte in den vergangenen sechs Jahren die Geschicke der Caritas der Diözese Graz-Seckau. Zuvor war es Generalsekretär der Katholischen Jugend Österreich und später der Katholischen Aktion Steiermark, stellvertretender Leiter des Pastoralamtes und Wirtschaftsdirektor der Diözese Graz Seckau, sowie bis Mai auch Kirchenvertreter im Publikumsrat des ORF. Mit 1. Juli geht Beiglböck in Pension und übergibt sein Amt als Caritas-Direktor an die davor bei den "VinziWerken" tätige bisherige Vizedirektorin Nora Tödtling-Musenbichler.
Quelle: kathpress