Flüchtlinge: Polak sieht viel Solidarität mit schalem Beigeschmack
Beunruhigende Entwicklungen im Blick auf Flucht und Migration ortet die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak. Sie schreibt in einem Beitrag für das theologische Portal "feinschwarz.net" von einer beeindruckenden Solidarität mit den Flüchtlingen aus der Ukraine, zugleich aber auch von einem schalen Beigeschmack; schließlich erwecke die Praxis den Eindruck einer "rassifizierten Flüchtlingspolitik". Auch innerkirchlich sei eine Migranten gegenüber negative Einstellung weitverbreitet, Papst Franziskus sei diesbezüglich ein oft eher einsamer und wenig gehörter Mahner. Anlass der Ausführungen Polaks ist der Internationale Weltflüchtlingstag (20. Juni).
Die entschlossene Aufnahme der bisher sieben Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine zeige, wozu die Europäische Union in der Lage sei, wenn die Mitgliedsstaaten den politischen Willen dazu haben, so die Theologin. Obwohl die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge jene der Geflüchteten der vergangenen sieben Jahre übersteigt, erhielten erstere die sofortige Anerkennung als Flüchtlinge und damit Zugang zu sozialer Unterstützung, zu Bildungs- und Gesundheitssystemen und für einen Zeitraum von drei Jahren auch zum Arbeitsmarkt. Anders als 2015 höre man bisher weder von der Gefahr einer Desintegration der Europäischen Union noch von Konflikten um Verteilungsschlüssel.
Dies, so Polak, "ist erstaunlich angesichts der politischen Hysterie rund um die deutlich geringere Zahl der Flüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan, die voriges Jahr an der polnisch-belarussischen Grenze gestrandet sind". Auch wenn dort bis heute Menschen sterben, habe man diese Menschen vergessen - ebenso wie jene, die aus Äthiopien, Burkina Faso, Myanmar, Nigeria, Syrien, und der Demokratischen Republik Kongo flüchten.
Auch nicht-ukrainische Personen aus Drittstaaten, die in der Ukraine gelebt, studiert oder gearbeitet haben, seien vom Recht auf temporären Schutz ausgenommen. Insbesondere Roma, Sinti und farbige Menschen hätten immer wieder Probleme beim Grenzübertritt. Dies hinterlasse einen schalen Beigeschmack, so Polak.
"Weckruf" wird nicht gehört
Es dürfe bezweifelt werden, dass die EU auf den "Weckruf" von Millionen Flüchtlingen hört, der dazu anhalten müsste, endlich entschiedener an einer internationalen Migrations- und Flüchtlingspolitik auf der Basis universaler Solidarität und der Menschenrechte zu arbeiten. Eher entstehe der Eindruck einer "rassifizierten Flüchtlingspolitik", die zwischen "den Unsrigen" und "den Anderen" unterscheidet.
Zu befürchten sei, "dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in der EU an den alljährlichen Superlativ der Flüchtlingszahlen gewöhnt hat und ungebrochen eine restriktive Asyl- und Flüchtlingspolitik befürwortet". Nach wie vor herrschen negative Einstellungen gegenüber Migrantinnen und Migranten, "oder besser: gegen als ökonomisch nutzlos und kulturell minderwertig wahrgenommene Menschen". Die sozialen und ökonomischen Folgen der kumulativen Krisen - Energiekrise, Inflation und Teuerung - würden eine menschenrechtlich basierte Solidarität wohl eher nicht stärken, befürchtet die Theologin.
So werde es wohl eine Minderheit bleiben, die den "Weckruf" hört und mit den Flüchtlingen erkennt, "dass die Welt und auch der immer noch reiche Westen vor der Aufgabe stehen, ein Wirtschaftssystem und einen Lebensstil zu verändern, die unsere natürlichen Grundlagen und Menschenleben zerstören". Wenn nicht ein Wunder geschieht, sei anzunehmen, dass Flüchtlinge weiterhin als Bedrohung wahrgenommen und zu Sündenböcken politisch-ökonomischer Interessen gemacht werden. Indikatoren für diese Vermutung gebe es zuhauf.
Polak verweist in diesem Zusammenhang etwa darauf, dass die EU-Grenzschutzbehörde Frontex zwischen März 2020 und September 2021 in mindestens 957 Pushbacks von Flüchtlingen in der Ägäis involviert war. Auch Wladimir Putin nützt die Angst vor Flüchtlingskrisen, indem er mit seiner Blockade von Getreide aus der Ukraine eine globale Versorgungskrise plant, um im Nahen Osten und in Nordafrika Fluchtbewegungen auszulösen, die im weiteren Europa politisch destabilisieren sollen. Aktuelle Hitzewellen und Dürren würden die klimabedingte Migration demnächst massiv beschleunigen, warnt Polak.
Ignoranz, Taubheit und Blindheit
Angesichts dieser Situation sei es ihr noch nie so schwergefallen, etwas Positives zum Weltflüchtlingstag zu schreiben, bekennt Polak. Ihre langjährigen Hoffnungen, dass die internationale Migration ein "Zeichen der Zeit" bzw. eine "günstige Gelegenheit" sei, "den Plan Gottes einer universalen Gemeinschaft zu verwirklichen und Regionen der Migration "Orte möglicher Gnadenerfahrung Gottes" seien, seien derzeit ziemlich gering. Solche Orte ließen sich zwar im unermüdlichen Einsatz von Caritas-Organisationen, Ordensgemeinschaften und einzelnen Pfarren erkennen. Aber die Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken in Europa scheine ihr von diesem auch theologischen "Weckruf" nicht erfasst zu sein, so Polak: "Anti-migrantische Einstellungen sind auch kirchlich weit verbreitet." Die Theologin spricht von "Ignoranz, Taubheit und Blindheit einer großen Mehrheit in Europa".
Polak räumt ein, dass viele Menschen in Europa überfordert seien von der Permanenz der Krisen und multiplen Ängsten. Aber: "Was ist mit den Ängsten der Flüchtlinge? Ja, Armut breitet sich auch in Europa im Gefolge der Krisen aus. Aber warum richtet man die Angst vor Armut gegen Flüchtlinge, statt laut aufzuschreien, dass gemäß des jüngsten Oxfam-Berichtes im Zuge der Pandemie multinationale Konzerne und Milliardäre ihr Vermögen teilweise verdoppelt haben, während 160 Millionen Menschen in Armut gestürzt sind?"
Beeindruckt zeigt sich die Wiener Theologin, dass Papst Franziskus ungeachtet dieser Situation offensichtlich ungebrochen an Wunder glaube. In seiner bereits jetzt veröffentlichten Botschaft zum 108. Welttag des Migranten und Flüchtlings, der am 25. September 2022 begangen werden wird, fordere er dazu auf, "mit Migranten und Flüchtlingen die Zukunft zu bauen". Ja, der Papst betone, dass das Reich Gottes nur mit den Migranten und Flüchtlingen aufgebaut werden könne. Deshalb, so der Papst, stelle deren Ankunft eine Bereicherung dar. Und er greife in dieser Hinsicht in seiner Botschaft auf ein Zitat aus dem biblischen Buch Jesaja zurück : "Die Fülle des Meeres wendet sich dir zu, der Reichtum der Nationen kommt zu dir."
Polak: "Insbesondere dieses Jesaja-Zitat, das Papst Franziskus zur Verdeutlichung wählt, klingt in meinen Ohren nachgerade fantastisch. Ob es uns in Europa gelingt, die Menschen, die über das Meer zu uns kommen, auf diese Weise wahrzunehmen? Die Zeichen dafür stehen derzeit nicht gut; ein Blickwechsel käme einem Wunder gleich." Polak zitiert abschließend aber auch David Ben Gurion, der einst, ebenfalls mit Bezug auf die Bibel, feststellte: "Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
Quelle: kathpress