Expertin: Ohne Indigene keine Bewahrung der biologischen Vielfalt
Auf die wesentliche Rolle der indigenen Gemeinschaften in Ländern des globalen Südens beim Erhalt der Artenvielfalt hat die Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO) aufmerksam gemacht. Der internationale Tag der Biodiversität am 22. Mai sollte Anlass sein, dies zu würdigen und zukünftig abzusichern, betonte KOO-Geschäftsführerin Anja Appel in einer Aussendung am Samstag. Die Bewahrung der biologischen Vielfalt sei nur mit Indigenen möglich, für deren Menschenrechte einzutreten ein wichtiger Beitrag dazu, hielt sie die Überzeugung der kirchlichen EZA-Fachstelle fest. Die Diskussionen auf internationaler Ebene zeigten, "dass die ökologischen Krisen noch zu wenig aus einer sozialen Perspektive beurteilt werden", beklagte Appel.
Die studierte Politikwissenschafterin äußerte sich vor dem Hintergrund der derzeit laufenden internationalen Verhandlungen zu einem neuen Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), die im August in der COP 15 in Kunming/China zu einem Ergebnis kommen sollen. Zu den strittigsten Themen gehören die Finanzierung, Sanktionsmöglichkeiten für Verstöße und die mögliche Ausweitung von Schutzgebieten. Angespornt von einem Zusammenschluss von Staaten, der sogenannten "High Ambition Coalition for Nature and People", der auch Österreich angehört, soll die internationale Diskussion heuer auf neue Ziele einschwören. So sollen die Schutzgebiete bis 2030 von derzeit 17 auf 30 Prozent der Erdoberfläche ausgedehnt werden. Die Verhandelnden aus Österreich sollten dabei auf Menschenrechtsstandards drängen, forderte Appel.
Die KOO-Geschäftsführerin verwies auf wissenschaftliche Daten, denen zufolge die Bedrohung der Biodiversität bereits dramatische Ausmaße angenommen hat. Der Verlust der Artenvielfalt verschärfe zudem die Klimakrise - und umgekehrt. Bei der angestrebten Ausweitung von Schutzgebieten mit entsprechenden Anforderungen sei "noch umstritten, wie eine genaue Definition dieser Schutzgebiete aussehen soll, wer das Land in Zukunft wie nützen kann und ob eine Erweiterung tatsächlich zu einem erhöhten Schutz der biologischen Vielfalt führen wird", erklärte Appel. Bislang komme es bei der Errichtung eines Schutzgebietes oft zur Verletzung von Landnutzungsrechten oder gar zu Enteignungen und Vertreibungen der dort lebenden Indigenen. Die zusätzliche Kriminalisierung des Widerstandes gegen die Vernichtung der Existenzgrundlage der Betroffenen, wie sie vielerorts zu beobachten sei, verschärfe die sozialen Spannungen, beklagte die Fachfrau.
Schutzzonen ausweiten reicht nicht
Appel befürchtet, dass das "30x30 Schutzgebietsziel" auf Kosten der lokalen Bevölkerung umgesetzt wird, indem diese zur Absiedelung gezwungen oder in ihren traditionellen Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt wird. Mit einer Verdoppelung der Schutzzonenflächen ohne entsprechende Auflagen sei es somit nicht getan. Indigene lebten zumeist in den Hot Spots der Artenvielfalt und fungierten als "Wächter*innen des Waldes" bzw. Bewahrer*innen der Natur", wie Appel erklärte. In Gebieten, wo lokale Gruppen verdrängt wurden, habe ein gegenteiliger Effekt beobachtet werden können, dass nämlich die Flora und Fauna an Reichtum verloren habe.
Schätzungen zufolge lebten ca. 300 Mio. Menschen derzeit in potenziellen oder faktischen Schutzgebieten und wären daher von eventuellen Umsiedlungen bzw. Einschränkungen betroffen. Hinter diesen Bestrebungen stünden vermutlich Wirtschaftsinteressen, etwa die des Nationalparktourismus bzw. politische Ziele, die auf eine weitere gesellschaftliche Diskriminierung Indigener hinausliefen, befürchtete Appel.
In entscheidender Verhandlungsphase
Die KOO plädierte daher an das Verhandlungsteam aus Österreichs, sich in der aktuellen entscheidenden Verhandlungsphase zum Übereinkommen strikt für die Einhaltung der indigenen Rechte einzusetzen und deren Kontrolle über ihre Territorien zu stärken. "Sie tragen nicht nur zur Stabilisierung des Klimas bei, sondern ihre Beobachtung des Bodens und der Vegetation sind am effektivsten, um Änderung in Fauna und Flora schnell ersichtlich zu machen", erklärte Appel. Die Partizipation von Indigenen in der Planerstellung, Umweltverträglichkeitsprüfung und vor allem deren vorherige, informierte und freie Zustimmung zu solchen massiven Eingriffen sei "unverzichtbar". Dies beuge Menschenrechtsverletzungen vor und gewährleiste die Erhaltung der Biodiversität.
Die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen und Schritte zur Energiewende dürfen laut der KOO-Aussendung keinesfalls neue soziale und ökologische Probleme schaffen. "Es muss darum gehen, als Weltgemeinschaft gemeinsame Verantwortung für die biologische Vielfalt zu übernehmen, auch für die sozialen Aspekte dieser schwerwiegenden Krise."
Quelle: kathpress