Würdigungen für Hermann Nitsch auch aus kirchlichem Bereich
Mit dem Maler, Performancekünstler und Aktionisten Hermann Nitsch ist eine Pioniergestalt der österreichischen Kunst des 20. Jahrhunderts verstorben. Mit diesen Worten würdigte der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, in der Österreichischen Bischofskonferenz für Kunst und Kultur zuständig, den am Ostermontag verstorbenen Künstler. "Ohne ihn wäre der Wiener Aktionismus eine im Sinne des Wortes 'blutleere', wenn auch kulturgeschichtlich relevante Revolte geblieben." Nitschs Vermächtnis ist für den selbst künstlerisch tätigen Bischof "äußerst beeindruckend und eine bleibende Inspirationsquelle".
"Ambivalent" hingegen sei sein äußerlich betrachtetes Nah-Verhältnis zur katholischen Liturgie. Einerseits habe Nitsch in den 1970er-Jahren, als es zu "radikalen kircheninternen Verwerfungen von Ritus, Bild, traditionellen Paramenten und weiteren sinnlichen Momenten der Liturgie" gekommen sei, das Kultische mit dem größtmöglichen Pathos wieder in Erinnerung gerufen - "und damit einen wunden Punkt getroffen", wie Glettler befand: "Wenn in der Eucharistie vom Leib und Blut Jesu die Rede ist, dann ist das tatsächlich nicht nur eine zu vernachlässigende Zeichensprache, sondern reale Gegenwart." Dieser "fremdprophetische Impuls" zur Untrennbarkeit von Sinnlichkeit und Sinn sei verdienstvoll.
Zugleich aber habe Nitsch mit dem Verschütten von Blut und anderen archaischen Kulthandlungen in seinen Vorstellungen des Orgien-Mysterien-Theaters das alttestamentarische Opferverständnis, die Blutriten des Mithraskultes und die orgiastischen Elemente der griechischen Dionysos-Verehrung bewusst miteinander vermengt, um die Wahrnehmung des Lebens zu intensivieren. "Dieser künstlerische Ansatz widerspricht jedoch diametral dem Grundverständnis katholischer Liturgie", auch wenn Nitsch Messkleider, sakrale Gefäße u.a. liturgische Elemente meist dekorativ in seine Aktionen integrierte. Christus steht laut Glettler für eine völlig andere Form von Lebensintensität und Lebensfreude: Zuwendung, Hingabe, Fußwaschung und Dienst anstelle von "kultig-rauschhaftem, dionysischem Abfeiern des Lebens".
Hermann Nitsch habe bürgerliche und kirchliche Normen provoziert und trotz einer "überbordenden Selbstinszenierung als Kultmeister seiner selbst ersonnenen Mysterienwelt" die österreichische Kunst- und Geistesgeschichte wesentlich beeinflusst, würdigte der Bischof. Mit seinen großen Schüttbildern, Aktionsrelikten und Gemälden habe Nitsch offensichtlich Bleibendes geschaffen, dieses Oeuvre werde seinen jetzt schon musealen Platz verteidigen. "Respekt und dankbare Erinnerung" zollte Glettler Nitsch auch im Rückblick auf einige persönliche Begegnungen.
Kapellari: Wertschätzung nach "Umweg"
"Ich gedenke des Verstorbenen mit großem Respekt und großer Wertschätzung": Das teilte der emeritierte Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari in seinem Nachruf auf Hermann Nitsch gegenüber Kathpress mit. Die immer stärkere und von "gegenseitiger Achtung" geprägte Verbundenheit des "ungemein vielseitigen und begabten" Künstlers und des sich seit Jahrzehnten mit Kunst auseinandersetzenden Bischofs habe freilich einen "Umweg über einige Konflikte und Abgrenzungen" genommen, wie Kapellari erzählte.
Bei seiner ersten Begegnung mit Nitsch im Jänner 2000 bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Erregung Kunst" in der Wiener Akademie der Bildenden Künste habe er Kritik vor allem am auch von anderen als blasphemisch empfundenen Text "Die Eroberung von Jerusalem" geäußert. Darin habe Nitsch "die Person Jesu Christi auf für mich verletzende Weise dargestellt", was den Bischof zur Frage veranlasste, "ob ein offensiver Abbau von Tabus zwar mehr Freiheit schafft, aber auch einen Weg in Zerstörung auftun kann".
Bei einem Symposium über "Die Messe" in Südtirol 2011, wo der Bischof im Brixener Dom den abschließenden Sonntagsgottesdienst leitete, sprach Hermann Nitsch zum Thema "Die Messe als Ort der orgiastischen Daseinsfindung". Dabei habe er "viel Zustimmendes über die katholische Kirche und Liturgie überhaupt" geäußert, erinnerte Kapellari. Das alles habe zu einer "generellen Entkrampfung des Verhältnisses" zwischen Nitsch und kirchlichen Personen und Institutionen und zu einer großen Zahl von Kontakten bis zu seinem Tod geführt. Das "Orgiastische" in der Kunst Nitschs sei ihm jedoch fremd geblieben, merkte der Bischof an.
Schwarz: Bilder von einem Angebot Gottes
Der St. Pöltner Bischof Alois Schwarz erinnerte in seiner Redaktion auf den Tod von Hermann Nitsch an die "intensive Zeit rund um den Dom St. Pölten" in dessen letzten Lebensjahren. Ihm selbst habe diese Zeit "Beschäftigung, Einblicke und Verständnis" für das Wirken und Arbeiten des Künstlers vermittelt, so der Bischof. "Nitsch schuf Zukunftsbilder, die über das Gemalte ein Angebot eines Gottes darstellen, der sagt: 'Ich stehe vor deiner Tür, mache mir auf.' Seine Worte über die Eucharistie und die Menschwerdung unseres Gottes hallen nach Abenden und Begegnungen bis heute tief in mir nach", so Schwarz. Besonders bezeichnend sei für ihn, dass Nitsch, "dem die Auferstehung Prinzip seines Lebens war", ausgerechnet der Ostermontag verstorben sei. Nitsch habe viele Menschen "berührt und belebt".
Domorganist Ludwig Lusser bezeichnete in einer Stellungnahme der Diözese St. Pölten die nahe persönliche Begegnung mit Nitsch als großes Erlebnis. "Seine Kunst hat ganz viel Aussagekraft über unser menschliches Dasein und darüber hinaus". Grundlage ihrer "packenden emotional dynamischen Wirkung" sei Nitschs Persönlichkeit selbst, die auf beeindruckende Weise "von Ehrlichkeit und Erfülltheit für die Kunst" gekennzeichnet gewesen sei.
"Man kam an ihm nicht vorbei"
Für den Leiter des Grazer "Kultum", den Theologen und Kunsthistoriker Johannes Rauchenberger, starb mit Hermann Nitsch "ohne Zweifel einer der wichtigsten Künstler Österreichs seit 1945": Der vom Verstorbenen mitgeprägte Wiener Aktionismus sei "der" Beitrag Österreichs zur internationalen Nachkriegskunst. Als Kurator von Ausstellungen zum Verhältnis von Kunst und Religion "kam man an ihm jedenfalls nicht vorbei", verwies Rauchenberger etwa auf Nitschs frühes Schüttbild im Rahmen der Schau "Glaube Liebe Hoffnung" 2018 im Grazer Kunsthaus.
"Persönlich saß ich mit ihm in Bizau einmal am Podium, da ist mir seine hohepriesterliche Attitüde eher weniger gut in Erinnerung", erinnerte Rauchenberger im Gespräch mit Kathpress. Sakrosanktes Benehmen gebe es nicht nur in der Kirche. Theologische Konflikte rund um seine Kunst wären laut dem "Kultum"-Leiter allerdings öfters entbehrlich gewesen: Nitsch habe in seiner Kunst nicht das Gleiche gemeint, was Katholiken unter Messe verstehen. "Eigentlich war das Verwenden der Messutensilien und der Paramente für seine Kunst mehr Dekoration als eine 'Entweihung' von Sakralgegenständen."
Aber aus der historischen Distanz habe Nitsch "auch theologisch viel geleistet", meinte Rauchenberger: Er habe der von Traditionalisten hochgehaltenen Opfertheologie, die im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils an Bedeutung verlor, "von außen einen Spiegel vorgehalten". Als eine "Ironie der Geschichte" wertete der kirchliche Kunstexperte, dass der "Erosionsprozess" der liturgischen Handlungen, Sprachen und Akteure so weit fortgeschritten sei, "dass man Hermann Nitsch einfach mit einem Hohepriester aus einer Urzeit verwechselt hat". Sein Orgien-Mysterien-Theater in einer katholischen Kirche abzuhalten, wäre Nitsch viel wert gewesen. Was ihm allerdings verwehrt blieb.
Versöhnliche Schlussbemerkung Rauchenbergers: "Am Ende wollten die katholischen Opferpriester und der Hohepriester Hermann doch dasselbe: Am Ende sollte das Leben stehen - oder siegen. Ob die Mittel dazu das Leiden oder der Rausch sind, ist einerlei." Bereits Günther Rombold (1925-2017), Brückenbauer zwischen Kirche und moderner Kunst, hatte über Nitsch gesagt: Er wollte Christus mit Dionysos versöhnen.
An eine ironische Brechung anderer Art in der Grazer Andräkirche erinnerte Rauchenberger nach einer Begegnung mit dem ehemaligen dortigen Pfarrer und jetzigen Innsbrucker Bischof Hermann Glettler: Dieser hatte 2002 in St. Andrä eine täuschend echte Nitsch-Puppe mit blutverschmierten Gewand des steirischen Künstlers Gustav Troger in den Altarraum gestellt. "40 Tage lang musste der Opferpriester dem anderen Opferpriester beim Ritual zusehen", schrieb Rauchenberger jetzt auf Facebook dazu.
Nitsch: "Ich liebe die katholische Tradition"
Vor eineinhalb Jahren kam es im St. Pöltner Dom zu "Hermann-Nitsch-Festspiele", wie es im November 2020 anlässlich der Veranstaltung "Begegnungen mit Musik & Kunst von Nitsch" hieß. Drei Tage lang konnten Interessierte Schüttbilder des Aktionskünstlers sowie ein Auferstehungstriptychon sehen, von Maria Bill gelesene Texte Nitschs und das abschließende "Orgelmysterium" des vielseitigen Künstlers hören. Bei einem Künstlergespräch trat Nitsch auch in Dialog mit Diözesanbischof Alois Schwarz und Altlandeshauptmann Erwin Pröll. Diese Veranstaltungsreihe im kirchlichen Rahmen leistete einen weiteren Beitrag zur Entkrampfung der Konfliktgeschichte zwischen Nitsch und katholischer Kirche dar.
Nitsch selbst wandte sich mehrfach gegen die Blasphemie-Kritik und stellte seine vermeintliche Opposition gegen das Christentum in Abrede. "In Wahrheit war das Christentum für mich die letzte noch lebendige Religion, die mich schon als Kind zutiefst berührte und mir damit den Einstieg in den Bereich des Mythischen ermöglichte", erinnerte sich der international renommierte Weinviertler Künstler einmal in einem Interview. Das Christentum verfüge über eine Symbolsprache, die weit über seine "dogmatische Enge" hinausgehe. Die Eucharistie erkenne er heute als "eines der tiefsinnigsten Mysterien, die Religionen je hervorgebracht haben", so Nitsch: "Mein Herz gehört der sinnlichen Wahrhaftigkeit, Üppigkeit des Katholizismus, und ich liebe die katholische Tradition, die leider durch die Schuld der Kirche museal geworden ist."
Quelle: Kathpress