Europäischer Menschenrechtsgerichtshof: Kein Recht auf Suizidbeihilfe
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat festgestellt, dass es kein Recht auf Beihilfe zum Suizid gibt, auch nicht in Form von konkreter Informationen oder Unterstützung zum Suizid. Die Höchstrichter in Straßburg erklärten in ihrem Urteil gegen einen dänischen Mediziner, bei Beihilfe zum Suizid könne man sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Das geht aus einem Bericht des IMABE-Instituts vom Dienstag hervor. Diese erneute Klarstellung sei auch für Österreich von hoher Bedeutung, betonte die Geschäftsführerin der kirchlichen Einrichtung, Susanne Kummer, die hier insbesondere auch Medienschaffende in Verantwortung nahm.
"Auch in Österreich wird derzeit Druck aufgebaut, wonach Ärzte, Pflegende, Apotheker oder Notare quasi verpflichtet wären, an geplanten Suiziden mitzuwirken", wies Kummer auf die Aktualität des Urteils hin. Vorgebracht werde dabei oft das Argument, jeder habe das Recht zu entscheiden, wann er oder sie sterben will. Im laufenden Diskurs gewinne man den Eindruck, dass "die Autonomie zunehmend als Autokratie, also einer Art Herrschaft des einzelnen über andere, die seinen Willen umsetzen müssen, umgedeutet wird", kritisierte die Ethikerin.
Wie der EGMR nun jedoch festgestellt habe, sieht die Europäische Menschenrechtskonvention für keinen Staat eine "positive Verpflichtung, tödliche Präparate zur Verfügung zu stellen", unterstrich Kummer. Ebenso dürfe auch "die Autonomie des einen die Autonomie der anderen - insbesondere der in Gesundheitsberufen Tätigen - nicht aushebeln", so die Ethikerin.
Moralfrage fernab von Konsens
Bei dem Straßburger Urteil ging es um den pensionierten Arzt und Sterbehilfe-Aktivisten Sven Lings, der in drei Fällen Patienten in ihren Suizidabsichten unterstützt und bei deren Selbsttötungen mitgeholfen hatte. 2019 war er dafür vom dänischen Gericht rechtskräftig zu 60-tägiger Haft auf Bewährung verurteilt worden. Auch wenn er diese Strafe wegen seines hohen Alters nicht antreten musste, legte der 81-Jährige beim EGMR Beschwerde ein und erklärte, er habe nur allgemein Informationen über den Suizid verbreitet und sehe sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Menschenrechtskonvention durch die Verurteilung verletzt.
Lings hatte auf seiner Webseite eine nach eigenen Angaben "sehr benutzerfreundliche" Anleitung zum Suizid veröffentlicht, inklusive detaillierter Beschreibungen von rund 300 Medikamenten und deren erforderlicher Dosis zwecks Selbsttötung. Die allgemeine Veröffentlichung im Internet ist nach dänischem Recht legal, eine konkrete persönliche Beihilfe zum Suizid jedoch verboten. Letztere gab Lings 2017 in einem Radiointerview in mehreren Fällen zu - woraufhin er mit einem Berufsverbot der Ärztekammer belegt und aus der Ärztekammer ausgeschlossen wurde.
Laut EGMR-Urteil liegt im betreffenden Fall keine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung vor und auch kein unangemessenes Strafmaß seitens der dänischen Gerichte. Das Thema der Beihilfe zum Suizid werfe "Fragen der Moral" auf, in denen die Mitgliedstaaten des Europarats "weit davon entfernt, einen Konsens zu erzielen" seien - weshalb jedem Land ein entsprechender Ermessensspielraum zusteht. In Dänemark steht die Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe. Die Gründe für die Verurteilung, nämlich Schutz der Gesundheit und Moral und der Rechte anderer, seien legitim, bekräftigte der EGMR.
Verhängnisvolle Medienbilder
Nach Ansicht des Wiener IMABE-Instituts enthält das Urteil auch einen Appell an Medienschaffende, ihre Verantwortung in der Suizid-Berichterstattung wahrzunehmen. Oft würden Bilder wie etwa, Beihilfe zum Suizid sei die Lösung für Probleme, geprägt, "die das Selbstverständnis vieler, gerade älterer oder Menschen mit dauerhaften körperlichen Einschränkungen, negativ beeinflussen können", warnte Kummer.
Die IMABE-Geschäftsführerin verwies zudem auf Richtlinien der WHO bereits aus dem Jahr 2008 zur Darstellung von Suizid in Medien, die 2017 aktualisiert wurden. Medienschaffende werden darin aufgefordert, sowohl eine "Sensationssprache" als auch eine "normalisierende Darstellung von Selbstmord als Lösung für Probleme" zu vermeiden, ebenso eine "prominente Platzierung von Geschichten über Selbstmord" sowie eine "explizite Beschreibung der verwendeten Methode". "Das gilt auch für die Schilderung der Fälle von Beihilfe beim Suizid", unterstrich Kummer.
Quelle: kathpress