Papst feiert nachdenkliches "Ostern des Krieges"
Noch einmal zurücksetzen, dann Stufe für Stufe manövriert der Fahrer den weißen Geländewagen vorsichtig durch den gelben Blumenschmuck vor dem Petersdom. Seine kostbare Fracht: Papst Franziskus, der nach der Ostermesse am Sonntag die rund 100.000 Pilger begrüßen möchte. Bis kurz vor die Engelsburg muss er fahren, damit ihn alle Menschen aus der Nähe sehen können.
Wortlaut der Ansprache |
Liebe Brüder und Schwestern, frohe Ostern! Jesus, der Gekreuzigte, ist auferstanden! Er kommt in die Mitte derer, die sich zu Hause eingeschlossen haben und angst- und schreckerfüllt um ihn trauern. Er kommt in ihre Mitte und sagt: "Friede sei mit euch!" (Joh 20,19). Er zeigt ihnen die Wunden an seinen Händen und Füßen, die Wunde an seiner Seite: Es ist kein Gespenst, es ist er, derselbe Jesus, der am Kreuz starb und im Grab war. Unter den ungläubigen Blicken der Jünger wiederholt er: "Friede sei mit euch!" Auch unsere Blicke sind an diesem Osterfest in Kriegszeiten ungläubig. Wir haben zu viel Blutvergießen, zu viel Gewalt gesehen. Auch unsere Herzen waren von Angst und Schrecken erfüllt, während so viele unserer Brüder und Schwestern sich einschließen mussten, um sich vor den Bomben zu schützen. Es fällt uns schwer zu glauben, dass Jesus wirklich auferstanden ist, dass er den Tod wirklich besiegt hat. Ist es vielleicht eine Illusion? Das Ergebnis unserer Einbildungskraft? Nein, es ist keine Illusion! Heute erklingt mehr denn je die Osterbotschaft, die dem christlichen Osten so teuer ist: "Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!" Heute sind wir mehr denn je auf ihn angewiesen, am Schluss einer Fastenzeit, die nicht zu enden wollen scheint. Wir haben zwei Jahre Pandemie hinter uns, die schwere Spuren hinterlassen haben. Es war an der Zeit, gemeinsam aus dem Tunnel herauszukommen, Hand in Hand, mit vereinten Kräften und Mitteln ... Aber stattdessen zeigen wir, dass wir immer noch nicht den Geist Jesu in uns tragen, sondern noch den Geist Kains, der Abel nicht als Bruder, sondern als Rivalen ansieht und darüber nachsinnt, wie er ihn beseitigen kann. Wir brauchen den auferstandenen Gekreuzigten, um an den Sieg der Liebe zu glauben, um auf Versöhnung zu hoffen. Heute brauchen wir ihn mehr denn je, der zu uns kommt und uns erneut sagt: "Friede sei mit euch!". Nur er kann dies tun. Nur er hat heute das Recht, uns den Frieden zu verkünden. Nur Jesus, denn er trägt die Wunden, unsere Wunden. Diese seine Wunden sind auf zweifache Weise die unseren: Sie sind die unseren, weil sie ihm von uns zugefügt wurden, von unseren Sünden, von unserer Herzenshärte, von brudermörderischem Hass; und sie sind die unseren, weil er sie für uns trägt, er hat sie nicht von seinem glorreichen Leib getilgt, er wollte sie für immer an sich behalten. Sie sind ein unauslöschliches Siegel seiner Liebe zu uns, als immerwährende Fürsprache, damit unser himmlischer Vater sie sieht und sich über uns und die ganze Welt erbarmt. Die Wunden am Leib des auferstandenen Jesus sind das Zeichen des Kampfes, den er für uns mit den Waffen der Liebe geführt und gewonnen hat, auf dass wir Frieden haben, in Frieden sein und in Frieden leben können. Wenn wir auf diese glorreichen Wunden schauen, öffnen sich unsere ungläubigen Augen, unsere verhärteten Herzen lösen sich und lassen die Osterbotschaft eintreten: "Friede sei mit euch!". Brüder und Schwestern, lassen wir den Frieden Christi in unser Leben, in unsere Häuser, in unsere Länder eintreten! Möge der leidgeprüften Ukraine, die durch die Gewalt und die Zerstörung des grausamen und sinnlosen Krieges, in den sie hineingezogen wurde, so sehr gelitten hat, Frieden widerfahren. Möge bald eine neue Morgendämmerung der Hoffnung über diese schreckliche Nacht des Leidens und des Todes hereinbrechen! Möge man den Frieden wählen. Man möge aufhören, die Muskeln spielen zu lassen, während die Menschen leiden. Bitte, bitte: Gewöhnen wir uns nicht an den Krieg, setzen wir uns alle dafür ein, von unseren Balkonen und auf den Straßen mit lauter Stimme den Frieden zu verlangen! Frieden! Diejenigen, die für die Nationen Verantwortung tragen, mögen auf den Schrei der Menschen nach Frieden hören. Sie mögen die beunruhigende Frage hören, die Wissenschaftler vor fast siebzig Jahren stellten: "Werden wir dem Menschengeschlecht ein Ende setzen, oder wird die Menschheit im Stande sein, auf den Krieg verzichten?" (Russell-Einstein-Manifest, 9. Juli 1955). In meinem Herzen trage ich all die vielen ukrainischen Opfer, die Millionen von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, die auseinandergerissenen Familien, die allein gelassenen alten Menschen, die zerstörten Leben und die dem Erdboden gleichgemachten Städte. Ich habe den Blick der Waisenkinder, die vor dem Krieg fliehen, in meinen Augen. Wenn wir sie betrachten, können wir nicht umhin, ihren Schmerzensschrei zu hören, ebenso wie den der vielen anderen Kinder, die überall auf der Welt leiden: derjenigen, die an Hunger oder mangelnder Versorgung sterben, derjenigen, die Opfer von Missbrauch und Gewalt sind, und derjenigen, denen das Recht verweigert wurde, geboren zu werden. Inmitten des Schmerzes des Krieges fehlt es auch nicht an ermutigenden Zeichen, wie die offenen Türen so vieler Familien und Gemeinschaften, die in ganz Europa Migranten und Flüchtlinge aufnehmen. Mögen diese vielen Taten der Nächstenliebe zum Segen für unsere Gesellschaft werden, die durch so viel Egoismus und Individualismus zuweilen verkommen ist. Mögen diese Taten ein Beitrag sein, der die Gesellschaft bereitmacht, alle aufzunehmen. Möge der Konflikt in Europa uns auch auf andere Situationen der Spannung, des Leids und des Schmerzes aufmerksam machen, die allzu viele Regionen der Welt betreffen und die wir nicht vergessen können und wollen. Möge dem Nahen Osten, der seit Jahren von Spaltung und Konflikten zerrissen ist, Frieden beschieden sein. An diesem glorreichen Tag bitten wir um Frieden für Jerusalem und um Frieden für alle, die es lieben (vgl. Ps 121 [122]), Christen, Juden, Muslime. Mögen Israelis, Palästinenser und alle Bewohner der Heiligen Stadt zusammen mit den Pilgern die Schönheit des Friedens erleben, in Geschwisterlichkeit leben und die Heiligen Stätten unter gegenseitiger Achtung der Rechte jedes Einzelnen frei betreten. Mögen Frieden und Versöhnung für die Völker des Libanon, Syriens und Iraks und insbesondere für alle im Nahen Osten lebenden christlichen Gemeinschaften sein. Möge auch in Libyen Frieden herrschen, damit das Land nach Jahren der Spannungen zu Stabilität findet, und im Jemen, der unter einem von allen vergessenen Konflikt leidet, der beständig Opfer fordert: Möge der in den letzten Tagen unterzeichnete Waffenstillstand der Bevölkerung wieder Hoffnung geben. Wir bitten den auferstandenen Herrn um die Gabe der Versöhnung für Myanmar, wo ein dramatisches Szenario von Hass und Gewalt andauert, und für Afghanistan, wo die gefährlichen sozialen Spannungen nicht nachlassen und eine tragische humanitäre Krise die Bevölkerung quält. Möge auf dem gesamten afrikanischen Kontinent Frieden herrschen, damit die Ausbeutung, der er ausgesetzt ist, und das Ausbluten durch terroristische Anschläge - insbesondere in der Sahelzone - aufhören, und möge er eine konkrete Stütze in der Geschwisterlichkeit der Völker finden. Möge Äthiopien, das von einer schweren humanitären Krise heimgesucht wird, den Weg des Dialogs und der Versöhnung finden, und möge die Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo ein Ende finden. Möge es nicht an Gebet und Solidarität für die von verheerenden Überschwemmungen betroffenen Bevölkerungen im Osten Südafrikas mangeln. Der auferstandene Christus begleite und stehe den Völkern Lateinamerikas bei, deren soziale Lage sich in einigen Fällen in diesen schwierigen Zeiten der Pandemie verschlimmert hat, die zudem durch Kriminalität, Gewalt, Korruption und Drogenhandel verschärft wird. Wir bitten den auferstandenen Herrn, den Weg der Versöhnung zu begleiten, den die katholische Kirche in Kanada mit den autochthonen Völkern eingeschlagen hat. Möge der Geist des auferstandenen Christus die Wunden der Vergangenheit heilen und die Herzen zur Suche nach Wahrheit und Geschwisterlichkeit befähigen. Liebe Brüder und Schwestern, jeder Krieg hat Nachwirkungen, welche die ganze Menschheit anbelangen: von den Todesfällen über das Flüchtlingsdrama bis hin zur Wirtschafts- und Ernährungskrise, deren Vorboten bereits erkennbar sind. Angesichts der anhaltenden Zeichen des Krieges wie auch der vielen schmerzhaften Niederlagen des Lebens ermutigt uns Christus, der Sieger über Sünde, Angst und Tod, nicht dem Bösen und der Gewalt nachzugeben. Brüder und Schwestern, lassen wir uns vom Frieden Christi überwältigen! Der Frieden ist möglich, der Frieden ist eine Pflicht, der Frieden ist die vorrangige Verantwortung aller! |
Es ist voll. Das minutenlange Schweigen nach dem Evangelium der Ostermesse durchbricht trotzdem nur eine Möwe und das Plätschern der Brunnen. Eine Predigt gibt es nicht, Franziskus' Osterbotschaft vor dem traditionellen "Urbi et orbi"-Segen ist dafür umso intensiver. Von einem "Ostern des Krieges" spricht das Kirchenoberhaupt auf dem Balkon des Petersdoms. In seinem Herzen trage er all die vielen ukrainischen Opfer, die Millionen von Flüchtlingen, die auseinandergerissenen Familien, die allein gelassenen alten Menschen, die zerstörten Leben und die dem Erdboden gleichgemachten Städte, so der Papst eindringlich. Bei diesem Blutvergießen und der Gewalt falle es schwer zu glauben, dass Jesus wirklich auferstanden sei. Eine Illusion sei dies aber nicht. Seinem Appell für Frieden in der Ukraine folgte langer Applaus.
Aber auch viele weitere Konflikte und Krisenherde ließ Franziskus nicht aus. So bat er etwa um ein geschwisterliches Zusammenleben der Religionen in Jerusalem und um Frieden etwa in Syrien und Myanmar, im Libanon, Libyen und Jemen; ebenso in Afrika und Lateinamerika. Für die indigenen Völker aus Kanada und die dortige katholische Kirche bat er um göttlichen Beistand auf dem "Weg der Versöhnung". Erst kürzlich hatte Franziskus deren Vertreter zu Gesprächen im Vatikan getroffen. Grund war die Rolle der Kirche in der Geschichte der umstrittenen Residential Schools, in denen im 19. und 20. Jahrhundert indigene Kinder ihrer Kultur beraubt, misshandelt und auch missbraucht wurden.
Das höchste Fest der Christenheit im Vatikan: Nach zwei Jahren Corona-Pandemie ist es in seinen Abläufen nahezu zur Normalität zurückgekehrt, die Pilgerzahl rasant gestiegen, der Petersplatz mit rund 40.000 Pflanzen ein farbenfrohes Blumenmeer. Inhaltlich aber überschattet der Krieg in der Ukraine diese Osterfeierlichkeiten.
In der Osternacht erklärte Franziskus, die Nächte des Krieges seien von leuchtenden Spuren des Todes durchzogen. "Mit Gesten des Friedens in dieser von den Schrecken des Krieges gezeichneten Zeit" seien die Christen aufgerufen, den auferstandenen Christus ins tägliche Leben zu tragen. An dem Gottesdienst nahm auch eine ukrainische Delegation teil, unter anderem der Bürgermeister der Stadt Melitopol, Iwan Fedorow. Dieser war während des Kriegs von russischen Soldaten entführt und später freigelassen worden. Am Ende seiner Predigt begrüßte der Papst sie eigens und bat alle Anwesenden eindringlich, für den Frieden zu beten.
An Karfreitag hielt Franziskus trotz ukrainischer Kritik an einer umstrittenen Friedensgeste beim Kreuzweg am Kolosseum fest. In der Dunkelheit, bei Kerzenlicht, trugen eine Ukrainerin und eine Russin gemeinsam das schlichte Holzkreuz auf einer Etappe der Andacht. Der bereits veröffentlichte Text zur 13. Station wurde jedoch durch einen kürzeren und eine Zeit des Schweigens ersetzt.
Aber nicht nur der Krieg bereitet dem Kirchenoberhaupt große Sorgen, auch gesundheitliche Probleme setzen Franziskus sichtlich zu. Erstmals konnte er wegen seiner Knie- und Hüftschmerzen die wichtige Messe der Osternacht nicht selbst leiten. Stattdessen nahm er von einem Stuhl vor den Bankreihen der Gläubigen aus am Gottesdienst teil. Hauptzelebrant war Kardinal Giovanni Battista Re, der Dekan des Kardinalskollegiums. Bei der Feier an Karfreitag im Petersdom betete das Kirchenoberhaupt stehend still vor dem Hauptaltar und verzichtete darauf, sich wie in der Liturgie an dieser Stelle vorgesehen auf dem Boden auszustrecken. Während seiner Osterbotschaft am Sonntag auf der Mittelloggia des Petersdoms musste er sich zwischenzeitlich setzen.
Den anschließenden Segen "Urbi et orbi" (Der Stadt und dem Erdkreis) erteilte Franziskus dann aber wieder stehend. Überhaupt scheint eine gesundheitsbedingte Absage für den 85-Jährigen nicht in Frage zu kommen. So nahm er an Gründonnerstag die Tradition der Fußwaschung in einer Einrichtung außerhalb des Vatikan wieder auf. In der Haftanstalt von Civitavecchia nahe Rom wusch er zwölf Häftlingen die Füße. Das macht er ohnehin schon lange im Stehen. Genauso wie die Fahrten im weißen Geländewagen - off-road durch das bunte Blumen- und Menschenmeer.
Quelle: kathpress