Ex-Abtprimas Wolf: Konsum- und Machtdenken überwinden
P. Notker Wolf, früherer langjähriger Benediktiner-Abtprimas, sieht im Konsumdenken und im Machtdenken die aktuell größten Probleme für das Christsein in Mitteleuropa: "Wir brauchen auch in der Kirche Reformen der Macht- und Organisationsstrukturen. Es braucht unbedingt eine Gewaltenteilung in der Kirche", so Wolf im Interview in der aktuellen Ausgabe der Kirchenzeitung der Diözese Linz.
Doch trotz aller Strukturreformen komme es letztlich auf die Einzelnen an: "Ob sie machthungrig sind oder loslassen können". Das sei der große Umbruch in der Gesellschaft: "Es gilt, den persönlichen Glauben an Jesus Christus in den Mittelpunkt zu stellen. Es gilt das Wort Jesu: 'Kehrt um und glaubt dem Evangelium.'" Die persönliche Umkehr sei das Allerwichtigste und Allerschwierigste. "Das fordert heraus."
Den eigenen Glauben stärken könne man durch das Gebet und die betende Lesung des Evangeliums. "Ich lese dabei einen Abschnitt des Evangeliums so oft, bis er in Fleisch und Blut übergeht", so der Ordensmann: "Glaube heißt für mich: Bindung an Jesus und sein Wort. Nicht, was gesellschaftlich verankert ist, nicht das, dem gerade alle zustimmen und was in den Augen aller modern ist, bedeutet für mich Glaube, sondern vom Evangelium her leben."
Mehr Sensibilität für Missbrauch
Auf die Missbrauchskrise in der Kirche angesprochen, sagte Wolf, dass es diesen nüchtern aufzuarbeiten gelte. "Die erste Sorge gilt den Opfern, die oft für ihr Leben traumatisiert sind." Man dürfe aber neben den Missbrauchstätern die vielen guten Priester nicht übersehen. Seine Hoffnung sei, so Wolf, "dass durch die Missbrauchsfälle in der Kirche die Gesellschaft sensibler für den Missbrauch in den anderen Bereichen, wie etwa in den Familien, wird".
Zur Frage, was die Christen in Deutschland und Österreich von ihren Glaubensgeschwistern in anderen Kontinenten lernen können, verwies Wolf, der als Abtprimas kreuz und quer durch die Welt gereist war, u.a. auf Vietnam: "Von unseren vietnamesischen Schwestern und Brüdern zum Beispiel, dass man auch in Bedrängnis seinen Glauben in Freude leben kann." Die Christen würden in Vietnam noch immer vom kommunistischen Regime streng kontrolliert, aber ihre Widerstandskraft wachse daran. "Das können wir uns von ihnen abschauen: nicht zu jammern, sondern zu wachsen, auch wenn wir verleumdet werden", so der Ordensmann.
Dass es sich lohnt, sich Zeit für den Gottesdienst zu nehmen, zeigten wiederum die afrikanischen Christen: "Eine Messfeier kann bis zu vier Stunden dauern, aber sie erfüllt mit Freude."
Und in Haiti habe er einmal in einem Bergdorf Sonntagsgottesdienst gefeiert. Wolf: "Vier Jahre war dort schon kein Priester mehr gewesen. An diesem Tag hätten die Dorfbewohner zu Scheinwahlen gehen sollen, die der Diktator angesetzt hatte. Das haben sie nicht getan. Darum sind Soldaten gekommen, die von der Gabenbereitung bis zum Agnus Dei mit vorgehaltenem Gewehr gedroht haben. Der Mut und die Unerschrockenheit, mit der diese Dorfbewohner die Situation über sich ergehen ließen, hat auch mir jede Angst genommen."
Notker Wolf war von 2000 bis 2016 Abtprimas und damit oberster Repräsentant des Benediktinerordens. Er vertrat weltweit an die 7.500 Mönche und 16.500 Ordensfrauen. Im Stift Wilhering kann man ihm im Rahmen eines "Einkehrtages für alle" am 9. April persönlich begegnen. Der ehemalige Abtprimas wird an diesem Einkehrtag (9 bis 16.30 Uhr) Gedankenanstöße zum Thema "Nachfolge Christi: Vom Kreuz zur Hoffnung" geben. Die Vorträge werden auch im Livestream auf https://www.youtube.com/StiftWilheringStream übertragen. (Anmeldung bis 5. April: zentralverwaltung@stiftwilhering.at oder Tel. 07226 23 11 12 (vormittags)).
Quelle: kathpress