Theologe: Die Partei der Kirche sind immer die Armen
Christinnen und Christen müssen laut Franz Gmainer-Pranzl genau hinschauen, wie sie sich in Politik und Gesellschaft einbringen. Das Christentum sei "nicht dazu da, irgendeine Politik zu beweihräuchern". Ebenso wenig, um "frontal gegen irgendjemanden zu sein", sondern um "aus dem Evangelium heraus kritisch differenziert Stellung zu nehmen. Die Partei der Kirche sind immer die Armen, sonst nichts". Das bekräftigte der Professor für "Theologie Interkulturell" an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg im Interview mit der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen (aktuelle Ausgabe).
Hintergrund des Gesprächs war der Krieg in der Ukraine und die Kritik am Moskauer Patriarchen Kyrill I., der diesen Krieg als Verteidigung gegen westliche "böse Mächte" sieht. Inzwischen verurteilen immer mehr Russisch-Orthodoxe die Gewalt gegen das Nachbarland. Interkulturelle Theologie setze sich auch damit auseinander, in welcher Wechselwirkung das Christentum weltweit mit einer sich verändernden Gesellschaft steht, erklärte Gmainer-Pranzl. Es gehe nicht darum, dass das Christentum "alles, was in der Gesellschaft gerade 'in' ist, nachmacht", so der Leiter des Zentrums Theologie Interkulturell und Studium der Religionen in Salzburg.
Das Zeugnis stehe der Kirche zu allen Zeiten als wichtigstes Mittel zur Verfügung. "Wenn die Kirche für etwas plädiert, soll sie es leben und vorleben", meinte er. Auf diese Weise könne die Kirche wie auch ihre Mitglieder in der Gesellschaft "einiges bewirken". Das betreffe etwa auch die Debatten zu Pflege und assistiertem Suizid. Menschen, die aus dem christlichen Glauben leben, "müssen nicht mithilfe der Politik dem ganzen Land etwas vorsetzen. Auch die Abtreibungsfrage ist seit Jahrzehnten ein neuralgischer Punkt", erklärte er weiter.
Eroberung wie im 19. und 20. Jahrhundert
Während sich die Ukraine in Richtung einer demokratischen Gesellschaft entwickle, habe die russische Gesellschaft starke Tendenzen zu einer autoritären Gesellschaft, so die Analyse des Professors. Diese Tendenzen gebe es auch in westlichen Gesellschaften, etwa in den USA unter Präsident Trump. Nun bestehe die Angst, dass der Funke der liberalen Gesellschaft auch auf Russland überspringe. Militärisch-strategisch gehe es auch um Gebiete, um Einfluss, "so, wie man es aus dem 19. und 20. Jahrhundert kennt: Man erobert ein Gebiet".
Moderne Gesellschaften seien anstrengender, "weil wir z. B. zwischen unterschiedlichen Lebensformen, Familienformen und Rollenbildern wählen müssen", erklärte Gmainer-Pranzl. Beim Konflikt um die Ukraine, habe er das Gefühl, "es herrschen Angst, Druck und Gewalt". Trotz ihrer scheinbar starken Stellung im russischen Staat scheine die russisch-orthodoxe Kirche abhängig zu sein. Auch in Österreich habe die katholische Kirche "nicht immer prophetisch und kritisch gewirkt. Daher bin ich vorsichtig mit einem Urteil", bekräftigte der Theologe.
Im Denken des 19. Jahrhunderts habe eine "Großmacht" immer gegen jemanden sein müssen. Bewunderung habe sie nur durch Angst, Schrecken und Militär erreicht. Für Gmainer-Pranzl sind die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO aus dem Jahr 2015 "wesentliche Kennzeichen einer Großmacht" im modernen Sinne, darunter Gleichberechtigung der Frauen, Sicherheit, Wasser und Klimafragen. Zudem sei ein entwickeltes Land eines, "das sich mit aller Leidenschaft für den Frieden einsetzt". Das Hochrüsten stehe immer noch in der Logik des "Gleichgewichts des Schreckens" aus dem Kalten Krieg. "Das ist keine konstruktive Friedenslösung", betonte er. "Wenn ein Land durch Vermittlung zur Friedenssicherung beiträgt, ist das für mich eine Großmacht."
Gmainer-Pranzl warnte vor "gefährlichen Kategorien" wie einem Vergleich Putins mit Hitler oder "etwas Teuflischem in der Politik", einem "undefinierbaren Begriff". Historisch sei zu bedenken, dass die Sowjetunion Österreich "maßgeblich vom Nationalsozialismus befreit" habe und "viele Soldaten der Roten Armee haben ihr Leben im Kampf um Wien verloren". Aber die Kombination aus einer "vom Revanchismus geprägten" Persönlichkeitsstruktur, die aus Demütigungen heraus agiere, und defizitären demokratischen Strukturen, bewirke "eine ganz schlechte Politik, die sich nur an Hass und Gewalt orientiert". Der Protest werde wachsen und "könnte Putin das Amt und das Leben kosten", denn er habe "ohne Not eine rote Linie überschritten und sein Land in die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt. Ich ziehe den Hut vor Menschen, die immer noch in Russland demonstrieren", betonte der Theologe.
Quelle: kathpress