Religionssoziologin: Russische Kirche für Krieg mitverantwortlich
Die Innsbrucker Religionssoziologin Kristina Stoeckl attestiert der Russisch-orthodoxen Kirche eine wesentliche Mitschuld am Ukraine-Krieg. Sowohl das Konzept der "Russki Mir", der "russischen Welt", als auch die Sicht von Russland als Verteidigerin der christlichen Werte gegen einen angeblich feindlichen Westen, seien ursprünglich theologische Konzepte gewesen, die nach und nach Eingang in die russische Politik gefunden hätten, erklärte Stoeckl in der ORF-Religionssendung "Praxis" (Mittwoch). Stoeckl sprach von einer "politischen Theologie, die das Moskauer Patriarchat vorgelegt hat, die wir jetzt politisch umgesetzt und am Werk sehen. Das ist eine Tragödie, die Kirche kann diese Geister nicht mehr stoppen."
Direkt könne der Moskauer Patriarch Kyrill in der jetzigen Situation wohl keinen Einfluss auf Wladimir Putin nehmen, so der Befund Stoeckls. Und er habe ja auch selbst gesagt, es müsse gebetet werden zum Widerstand gegen böse Kräfte. Stoeckl: "Er hat an anderer Stelle natürlich auch gesagt, dass er für den Frieden betet, hat aber sozusagen die Kampfhandlungen oder diesen Angriff Russlands auf die Ukraine nicht verurteilt oder auch nicht mit klaren Worten angesprochen."
Zwar sei auch von kirchlicher Seite von einem "Bruderkrieg" die Rede, das Problem sei aber, "dass auf der Seite Russlands immer so getan wird, als sei dieser Zwist von außen gesät, als sei Westeuropa, die USA oder die NATO dafür verantwortlich, diese ukrainischen Brüder abspenstig zu machen". Es werde den Christen in der Ukraine Handlungs- und Entscheidungsmacht abgesprochen.
Die enge Verbindung zwischen Staat und russisch-orthodoxer Kirche bezeichnete Stoeckl als "sehr tragische und auch traurige Entwicklung". In den 70 Jahren der kommunistischen Herrschaft sei die Russische Orthodoxe Kirche vom sowjetischen Staat unterdrückt worden. Danach sei die Kirche in den öffentlichen Raum und auch in den politischen Raum zurückgekommen. "Und dieses Zurückkommen war auch ein Moment der Möglichkeit, dieses Verhältnis neu zu definieren." So habe es in den 1990er Jahren durchaus Ansätze gegeben, die Rolle der Orthodoxen Kirche im russischen Staat als unabhängiger zu definieren, auch als mögliche Gegenkraft zu politischen Entwicklungen. Man sehe aber, "dass mit Patriarch Kyrill, der 2008 Patriarch geworden ist, dieses Verhältnis zwischen dem Kreml und dem Patriarchat sehr viel enger geworden ist", analysierte die Expertin.
Die Russisch-orthodoxe Kirche pflege eine enge Nähe zum russischen Militär, so Stoeckl: "Diese Nähe wurde manifest durch die Errichtung einer großen Kathedrale der russischen Streitkräfte am Stadtrand von Moskau. Diese Kathedrale wurde 2020 eingeweiht, die Kathedrale der russischen Streitkräfte. Und dieses enge Verhältnis manifestiert sich natürlich auch in so symbolischen Akten wie Waffensegnungen."
"Symphonie von Staat und Kirche"
Ähnlich äußerte sich im Interview für die aktuelle Ausgabe der Kärntner Kirchenzeitung "Sonntag" (Donnerstag) der Salzburger Ostkirchen-Experte Dietmar Winkler. Präsident Putin sowie Dmitri Medwedew - der Putin-Vertraute war von 2008 bis 2012 russischer Präsident - hätten erkannt, "dass für die russische Seele die Orthodoxie ein wesentlicher Identitätsstifter ist". In diesem Sinne hätten das Moskauer Patriarchat und der Präsident immer enger zusammengearbeitet. Es sei sogar das Bild einer "Symphonie von Staat und Kirche" geprägt worden und es sei zu hohen finanziellen Zuschüssen für die Kirche gekommen, so Winkler: "Dafür hat die Kirche den Präsidenten und seine Politik unterstützt. Die Kirche ist damit natürlich auch in die Falle getappt, dass sie vom Staat immer wieder instrumentalisiert wird." Er fürchte, so Winkler, dass diese "Symphonie von Staat und Kirche" der russischen orthodoxen Kirche "irgendwann massiv schaden wird".
Die Russisch-Orthodoxe Kirche sehe die Ukraine als ihr kanonisches Territorium. Das heiße nicht notwendigerweise, dass die Ukraine auch politisch angeschlossen werden müsste. Sie könne als unabhängiger Staat schon existieren, "aber die jüngsten Aussagen des Moskauer Patriarchen Kyrill I., dass die Feinde Russlands alle 'Kräfte des Bösen' sind, zielt auf die kirchliche Einheit von Weißrussland, Russland und Ukraine hin. Damit strapaziert er wieder ein überholtes Geschichtsbild und bezieht sich auf die Welt des 10. Jahrhunderts."
Zum Einfluss von Papst Franziskus in der gegenwärtigen Krise befragt, zeigte sich der Ostkirchen-Experte "unglaublich beeindruckt" vom persönlichen Besuch des Papstes in der russischen Botschaft am Heiligen Stuhl. "Die Kraft eines Papstes, die so vermittelt wurde, ist unvorstellbar." Das Bescheidene und Wahrhaftige am Papst sei wieder deutlich zutage getreten "und war für den Botschafter fast beschämend", so Winkler: "Diese Bußhaltung des Papstes entwickelt ein Potenzial, das für mich ein ganz starkes Friedenszeichen darstellt. Da entsteht eine spirituelle Kraft mit einer ganz großen Symbolik."
Quelle: kathpress