Kunst zu Themen "tired? lost? displaced?" in Innsbrucker Kirchen
Kunst auf der Höhe der derzeit so zerrissenen Zeit wird während der Fastenzeit in drei Kirchen der Innsbrucker Innenstadt präsentiert. Der Öffentlichkeit vorgestellt werden die gerade auch vor den Ereignissen in der Ukraine brisanten Arbeiten zu den Themen "tired? lost? displaced?" im Rahmen der Aschermittwoch-Liturgien durch Bischof Hermann Glettler, Bischofsvikar Jakob Bürgler und Propst Florian Huber in der Universitätskirche, der Spitalskirche und im Jakobsdom; diese drei sowie beteiligte Kunstschaffende führten bereits am Faschingsdienstag im Rahmen eines Presseparcours durch die nun 40 Tage lang veränderten Gotteshäuser, über den die Diözese Innsbruck auf ihrer Website informiert.
In der Neuen Universitätskirche am Innrain stellte der selbst künstlerisch tätige Kunsthistoriker auf dem Innsbrucker Bischofsstuhl, Hermann Glettler, die Fotoinstallation "tired?" (dt.: müde?) von Carmen Brucic als temporäres Altarbild und damit die erste derartige Kunstintervention in dieser Kirche vor. Die international renommierte Fotokünstlerin zeigt den georgischen Aktivisten und Künstler mit auch ukrainischen Wurzeln David Apakidze, dessen Körperhaltung gleichzeitig für Erschöpfung und Widerstand stehe: Sein Arm forme gewissermaßen ein "V" wie für "Victory", wies Glettler hin. Er wertete diese Ambivalenz als "ein ganz starkes Fasten- und Ostersymbol".
Die für das Tbilisi Photo Festival in Georgien 2021 entstandene Fotoinstallation zeigt mit Apakidze einen von mehreren Aktivisten für die dortige "Rave Revolution", die sich mit Tanz, Performance und anderen kreativen Ausdrucksformen für Freiheit und soziale Gerechtigkeit engagieren. Carmen Brucic stelle mit ihrem Altarbild "Fragen nach dem Erschöpfungszustand unserer Gesellschaft, nach Formen des Widerstands zur Rückgewinnung menschlicher Freiheit und Selbstwirksamkeit", heißt es auf der Diözesan-Website zu dem 300 mal 450 cm großen Stoffbild. Ebenso frage sie nach der spirituellen Energie für gesellschaftliche und politische Veränderungsprozesse und lade "zur Betrachtung und Selbstbefragung" ein.
"Auf welchen Altären opfern wir?"
Von dort führte der Presseparcours in die Spitalskirche im Herzen der Innsbrucker City, wo es in der Fastenzeit um das Thema "lost?" (dt.: verloren?) geht: Ein Pressefoto von der Grenze zwischen Polen und Weißrussland - "ein Turnschuh am Stacheldraht gegen unsere Ohnmacht" - diente dem Künstler Klaus Giesriegl dabei als Vorbild für seine großformatige Grafik auf Papier, das nun bis Ostern als Fastentuch dient. Bischofsvikar Bürgler machte als Kirchenrektor auf die Position des Bildes im Kontrast zur Darstellung von Moses mit den Zehn Geboten und dem Goldenen Kalb an der Decke aufmerksam machte. Daraus ergäben sich Fragen nach den heute leitenden Werten: "Auf welchen Altären opfern wir?", fragte Bürgler.
Letzte Station: der Dom zu St. Jakob, wo bereits seit 2001 Kunst in der Fastenzeit einen Kirchenraum bekommt. An der Stelle des Mariahilf-Bildes von Lucas Cranach im Hochaltar klafft dort heuer ein Loch, das hochkarätige Kunstwerk wurde stattdessen am Philipp-Neri-Seitenaltar zur nahen Betrachtung aufgestellt. Daneben sind mehrere grafisch-malerische Annäherungen an das Cranach-Bild vom Osttiroler Künstler Michael Hedwig zu sehen, außerdem 30 Bände Gebetserhörungen, die laut Propst Florian Huber den Anstoß zu "MARIAHILF - displaced?" (dt.: vertrieben?) gaben. In einer Dissertation über die Gebetserhörungen sei erwähnt, "dass die Wallfahrtsbewegung mit der Weihe dieser Kirche ein Ende gefunden hat, weil das Bild davor sehr nahe war und dann nicht mehr", erläuterte Huber. Die verloren gegangene Nähe werde nun wieder ermöglicht, die Leere am Hochaltar dafür bewusst sichtbar gelassen.
Die musikalisch untermalten Aschermittwoch-Gottesdienste mit der Präsentation der Kunstinterventionen und dem Empfang des Aschenkreuzes finden in der Spitalskirche Innsbruck um 12.15 Uhr, im Jakobsdom und in der Universitätskirche um 19 Uhr statt.
Quelle: kathpress