Scheuer: Pandemie macht Bereiche krank, die nicht infiziert sind
"Das Gefüge von Freiheit und Geschwisterlichkeit ist nicht nur, aber auch durch Covid vom Zerbrechen bedroht." Das betonte der Linzer Bischof Manfred Scheuer in seinem Beitrag anlässlich des kirchlichen "Welttags der Kranken" (11. Februar) in der Zeitung "Praedica Verbum" (Ausgabe 1/2022). Eine humane Gesellschaft und eine christliche Gemeinschaft zeichne es aus, "nicht im Stich zu lassen und nicht im Stich gelassen zu werden", so der Bischof. Gleichzeitig warnte Scheuer, die Pandemie mache auch "Bereiche krank bzw. vulnerabel, die noch nicht infiziert sind."
"Was brauchst du?", das sei in Coronazeiten eine zentrale Frage, sei es bei der Hilfe beim Einkaufen, der Nachbarschaftshilfe oder beim telefonischen Kontakt. "Was es in Zeiten des Lockdowns mit all seinen Maßnahmen ebenso brauchte, waren Sachlichkeit, Achtsamkeit und die Kraft der Zuversicht, der Hoffnung." Die Pandemie habe auch die Kommunikation in Frage gestellt, auch jene in der Kirche. "Das Gefüge von Leiblichkeit und Miteinander ist anders geworden. Intimität, Nähe und Distanz, privat und öffentlich, Vereinsamung, Besuch und Gastfreundschaft, Verantwortung und Gemeinwohl" - all das habe sich kulturell, gesellschaftlich und auch liturgisch verschoben, so der Bischof.
"Hauptsache gesund!" sei eine der Floskeln, die man oft zu hören bekomme. "Gesundheit steht, wen wundert dies, ganz oben auf der Rangliste der persönlichen Güter", das ließen sich viele auch einiges kosten, wies Scheuer hin. "Mit dem Versprechen, Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen, ist viel Geld zu verdienen. Gesundheit ist ein riesiger Wachstumsmarkt." In Covid-Zeiten diktierten die Gesundheit und die Krankheit praktisch alle Bereiche des Lebens: Bildung, Wirtschaft, Politik, Kultur, Soziales, Tourismus, Familie.
Es gebe aber auch ein krankes Verhältnis zur Gesundheit und ein gesundes Verhältnis zur Krankheit, zeigte sich Scheuer überzeugt: "Wenn Gesundheit zum höchsten Gut erklärt wird, wenn ein Kult der Gesundheit betrieben wird, eine 'Gesundheitsreligion', so führt das nicht zu gesünderen Menschen." Ein gesundes Verhältnis zur Krankheit zeige sich darin, dass diese als Bestandteil des eigenen Lebens zugelassen werde.
Ernsthafte Krankheiten müssten in die eigene Lebensführung integriert werden. "Sie führen zu einem Weiterleben unter veränderten Bedingungen und können als eine Grenzsituation erlebt werden, die uns dazu mahnt, das eigene Leben unter ein neues Vorzeichen zu stellen", so Scheuer. Die Pandemie habe das ganze Leben verändert: "Arbeit, Freizeit, Kultur, Wirtschaft, Mobilität, Kommunikation, Begegnungen waren durch Covid nicht mehr so wie im Februar 2020."
Infolge von Corona hätten sich zudem "massive Entzugserscheinungen" bei Beziehungen und Freundschaften bemerkbar gemacht. "Auch die Gemeinschaft im Glauben, in Gebet und Liturgie war neu zu buchstabieren." Plötzlich sei den Menschen bewusst geworden, "wie vulnerabel, wie verletzlich, fragil und zerbrechlich unser eigener Körper, aber auch unser gesamtes gesellschaftliches System war." Auf Dauer mache Isolation jedoch kränker und schließlich tot; die Vereinsamung erhöhe die Sterblichkeitsrate, zeigte sich der Bischof überzeugt.
Es geht um "Qualität des Miteinanders"
Bei den gegenwärtigen Herausforderungen der Pandemie, aber auch bei der Migration, dem Synodalen Prozess oder der Kirchenkrise, dürfe es nicht nur um Diversität, Autonomie und Singularität gehen, mahnte der Bischof. Vielmehr müsse es, um die "Qualität des Miteinanders" gehen, "um die Tragfähigkeit der sozialen Netzwerke, um Brücken zwischen den Gräben und Spaltungen, um die Verbundenheit im Scheitern". Papst Franziskus spreche in seiner Enzyklika "Laudato si" von einer universalen Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit. "Krisen wie die Corona-Pandemie sind eine Herausforderung, eine gute Verankerung zu suchen, am Fundament des Lebens zu arbeiten", erklärte der Linzer Bischof.
Quelle: kathpress