
Benedikt XVI. äußert sich ausführlich zum Münchner Gutachten
Seit Wochen wartet die Weltöffentlichkeit auf die Klärung zweier Fragen: Inwieweit war Benedikt XVI. im Jahr 1980 als Münchner Erzbischof am Einsatz eines Missbrauchstäters in der Seelsorge Bayerns beteiligt? Und hat er zu diesem Vorgang 42 Jahre später gelogen? Beide Fragen hat Benedikt XVI. nun beantwortet. Am Dienstag veröffentlichte der Vatikan die ausführliche Stellungnahme des früheren Erzbischofs und Papstes.
In dem zweieinhalbseitigen Brief bekennt Benedikt XVI. Schuld, bittet um Vergebung, dementiert Vertuschung seinerseits und dankt für Solidarität angesichts teils heftiger Kritik und Vorwürfe, gegen die er sich verwahrt. Das Schreiben an die "lieben Schwestern und Brüder" (vornehmlich in der Erzdiözese München) ist geistlich und theologisch gehalten. Bezugspunkt der Stellungnahme des früheren Erzbischofs (1977-1982) ist das Schuldbekenntnis zu Beginn jeder katholischen Messe, in dem es heißt: "Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, und allen Brüdern und Schwestern, dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe."
Er habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen, schreibt Benedikt XVI. "Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind." Jeder einzelne sexuelle Übergriff sei "furchtbar und nicht wieder gut zu machen".
In einer gleichzeitigen Stellungnahme weisen die Rechtsexperten, die Benedikt XVI. rund um das 1.900 Seite starke Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) berieten, die Vorwürfe zurück, als Erzbischof habe er von der kriminellen Vorgeschichte von Priestern gewusst. Den Vorwurf, er hätte damals stärker nachfragen sollen, weshalb etwa ein Geistlicher sich einer Therapie unterziehen solle, beantwortet Benedikt allenfalls indirekt.
In Begegnungen mit vielen Missbrauchsopfern habe er "verstehen gelernt, dass wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht."
In einem Statement bezeichnet der Chefredakteur von Vatican News/Radio Vatikan, Andrea Tornielli, die "kurze, aufrichtige Antwort" Ratzingers als "persönliche und bewegende 'Beichte'". Federico Lombardi, langjähriger Pressesprecher unter Benedikt XVI., nennt den Brief ein "Zeugnis der Wahrhaftigkeit in einer existenziellen Situation".
Der Brief Benedikts ist größtenteils allgemein formuliert; auf Details des WSW-Gutachtens geht er nicht ein. Bis auf den Fehler, was seine Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Jänner 1980 betrifft. Da sei bei seiner 82-seitigen Einlassung für das Gutachten "ein Versehen erfolgt", das aber, "so hoffe ich, auch entschuldbar" sei. Es habe ihn "sehr getroffen", dass der Fehler "ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen".
Angesichts der bisher geäußerten Kritik und Vorwürfe schmälert es allerdings Benedikts Empathie, wenn er in dem Brief zuerst seinen Freunden und Unterstützern dankt, bevor dem "Wort des Dankes" dann "ein Wort des Bekenntnisses" folgt. Kritiker sehen darin sicher ein Indiz für die Haltung, wieder zunächst an die eigenen Leute und dann erst an Betroffene zu denken. Immerhin verzichtet der frühere Kurienkardinal und Papst darauf, von ihm ergriffene Maßnahmen gegen Missbrauch aufzulisten.
Die geäußerte Zuversicht, der "ewige Richter", vor dem er bald stehe, werde ihm vergeben, "wenn ich mich ehrlich von ihm durchschauen lasse und so wirklich zur Änderung meines Selbst bereit bin", klingt wie eines der letzten Worte des früheren Papstes. Ob es in den derzeitigen Debatten gut ankommt, ist eine andere Frage.
Papst Franziskus hat sich zum Münchner Gutachten und den Vorwürfen gegen seinen Vorgänger bisher nicht direkt geäußert. Er tat es allenfalls indirekt - wie in anderen Fällen ebenfalls. Ende Jänner etwa schrieb er auf Twitter: "Wie oft sagen wir etwas ohne Anhaltspunkte oder nur aufgrund von Hörensagen und meinen, wir seien im Recht, wenn wir über andere streng urteilen. Mit uns selbst sind wir nachsichtig, anderen gegenüber sind wir unnachgiebig." Das darf man sicher auch als Hinweis zur Debatte um Benedikt verstehen.
Wie groß im Übrigen das weltweite Interesse an einem klärenden Wort des früheren Papstes ist, zeigen auch die Übersetzungen, die der Vatikan vom Brief Benedikts XVI. mitlieferte: Italienisch, Englisch, Spanisch, Polnisch, Portugiesisch, Arabisch ... weitere sollen folgen. Da der bald 95-Jährige nicht mehr gut vernehmlich sprechen kann, verbreitete der Vatikan auch ein Video, in dem Erzbischof Georg Gänswein Benedikts Brief auf Deutsch und Italienisch vorliest.
Quelle: kathpress