Streitthema Corona: Franziskaner üben sich im "Brückenbauen"
Überall dort, wo Menschen gemeinsam leben und arbeiten, führt die Covid19-Impfpflicht potenziell auch zu Streit und Auseinandersetzung. Ein Beispiel dafür, wie eine Ordensgemeinschaft um richtigen Umgang mit dem Thema ringt, liefert die heimische Franziskanerprovinz: Unter den mehr als 100 Mitbrüdern seien "wie in der Gesellschaft etwa zehn Prozent skeptisch oder ablehnend, was die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung betrifft", erklärt Provinzialminister P. Fritz Wenigwieser in der Ordenszeitschrift "antonius" (1/2022), die sich ausführlich und vielstimmig mit dem Thema befasst. "Die Wucht der Auseinandersetzung macht nicht an unseren Klostertüren halt", so der seit Mitte 2021 der Ordensprovinz vorstehende Mönch.
Die Oberen der insgesamt 18 franziskanischen Niederlassungen in acht Bundesländern und Südtirol seien angesichts der unterschiedlichen Meinungen vor "Herausforderungen menschlicher, aber auch organisatorischer Art" gestellt, berichtet Wenigwieser. Ihn persönlich beschäftige die "Sorge um zerbrechende Beziehungen und das Miteinander" sehr und er habe, auch dank entsprechender Vorsichts- und Vorbeugemaßnahmen, "inzwischen weniger Angst vor dem Virus als davor, wirklich Menschen zu verlieren". Wichtig seien Vorkehrungen zum guten Zusammenleben, "ohne dass Einzelne unter die Räder kommen".
Die Meinungs- und Gewissensfreiheit von Brüdern wolle und könne heute niemand unterdrücken, da dies dem heutigen Verständnis von Gehorsam klar widerspräche, so der Franziskanerobere. Dennoch seien in einer Gemeinschaft Mindestabmachungen nötig, um Achtung und Schutz für vulnerable Menschen zu gewährleisten - für "jene Menschen, die vom Virus besonders gefährdet sind, genauso wie andere, die sich im Zuge von Polemiken in eine schier unerreichbare Isolierung verstrickt haben". Auch mit Impfskeptikern und Maßnahmenkritikern könne und müsse weiter das Gespräch gesucht werden, betonte Wenigwieser, denn: "Menschen mit anderer Meinung sind aber keine Verlierer oder 'Loser'. Niemand, auch kein Irrender, darf wegen seiner Haltung beschämt werden."
"Wir brauchen Brückenbauer", so der Tenor von acht Statements von Franziskanern aus den verschiedensten Gemeinschaften. Der Grazer Guardian und Pfarrer P. Josef Höller erklärt, der Abbau von Emotionen sei dafür vonnöten. Eigene Standpunkte sollte man "nicht als alternativlose Justament-Standpunkte vertreten" und es gelte gegenseitige Schuldzuweisungen zu vermeiden. "Gerade betroffene Menschen können und sollen zu solchen Brückenbauern werden", so der Ordensmann. "Als Kirche sind wir angehalten, die sich öffnenden Gräben zwischen Impfgegnern und -befürwortern nicht noch zu verbreitern, sondern dazu beizutragen, sie zuzuschütten", meint auch P. Thomas Lackner, Vikar in Frauenkirchen.
Zugleich ergeben sich für die Ordensniederlassungen durch die Pandemie auch viele praktische Probleme, für die es Lösungen zu finden gilt. Der Salzburger Guardian P. Thomas Hrastnik berichtet, er sei selbst geimpft, respektiere aber die Entscheidung jener Brüder, die keine Impfung wollten und sich eben öfter testen ließen, um weiter in der Seelsorge tätig zu sein. Sein Wiener Amtskollege P. Oliver Ruggenthaler, in dessen Gemeinschaft "alle vollständig geimpft" sind, sieht als größte Herausforderung die Motivation der Menschen zum erneuten Kirchgang sowie die Organisation der Armenausspeisung. P. Reinald Romaner aus Bozen berichtet von einem personalbedingtem Aufnahmestopp in den Altenheimen des Ordens, der für viele ältere Menschen existenzielle Schwierigkeiten bringe.
Eingehend widmet sich P. Dominikus Kraschl der Frage nach der Meinungsfreiheit in der Kirche. "Zur Leitungsverantwortung gehört das Recht und bisweilen auch die Pflicht, praxisbezogene Regelungen zu erlassen und über ihre Einhaltung zu wachen", so der in Salzburg lebende Fundamentaltheologe und Philosoph. Besonders sei dies angebracht, wenn Auffassungen öffentlich verbreitet werden, die die Einhaltung der Regelungen untergraben und die Einheit gefährden. Da man allerdings nicht pauschal behaupten könne, Corona-skeptische Äußerungen stünden im Widerspruch zur Kirchenlehre, sei für jede Einschränkung das prinzipielle Recht auf freie Meinungsäußerung gewissenhaft zu prüfen und die Angemessenheit auch rechtzufertigen. (Infos: www.franziskaner.at)
Quelle: kathpress