Queer-Debatte: Binäres Menschenbild der Kirche korrekturbedürftig
Es gibt in Gottes Schöpfung mehr als nur "Mann" und "Frau", die aufeinander zugeordnet sind. Wie die Systematische Theologin Prof. Gunda Werner zur aktuellen Queer-Debatte erklärte, ist ein auf nur zwei Geschlechter reduziertes, binäres Menschenbild in der Humanwissenschaft überwunden - und sollte es auch in der Katholischen Kirche sein. Die theologische Anthropologie des kirchlichen Lehramtes negiere bisher, dass es "viele Formen von Geschlechtern und auch des Begehrens" gebe und sei somit "korrekturbedürftig", wie die in Graz lehrende Theologin am Donnerstag im Gespräch mit Kathpress darlegte.
Werner ist Mitherausgeberin des für Frühling angekündigten Herder-Buches "Out in Church. Für eine Kirche ohne Angst", das eine jüngst in Deutschland gestartete gleichnamige Initiative ("#OutInChurch") begleitet. 125 Mitarbeitende der Katholischen Kirche in Deutschland outeten sich dabei als "queer" und damit nicht dem christlichen Ehe- und Beziehungsideal entsprechend, obwohl sie damit in Konflikt mit dem in Deutschland geltenden kirchlichen Arbeitsrecht kommen.
Als feministische Theologin habe sie dieses Thema schon lange im Blick, berichtete Werner. Im angloamerikanischen Raum sei die Queer-Debatte auch schon viel weiter fortgeschritten als in der deutschsprachigen katholischen Theologie. Für sie sei es eine Frage der Gerechtigkeit, gegen Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung einzutreten. Die Aufsehen erregende ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" zum #OutInChurch-Outing habe aufgezeigt, dass nicht länger so getan werden könne, als gäbe es LGBTIQ+-Personen im kirchlichen Dienst nicht. "Es gibt sie überall", betonte Werner und erinnerte dabei auch an die sichtbare Präsenz queerer Menschen im deutschen Reformprozess "Synodaler Weg".
Auch Bischöfe würden mittlerweile anerkennen, dass das im Widerspruch zur staatlichen Gesetzgebung stehende kirchliche Arbeitsrecht geändert werden muss und es nicht genügt, Queers bestenfalls im Verborgenen Mitleid und Verständnis entgegenzubringen. Gesamtgesellschaftlich habe sich bei diesem Thema - auch wenn "um Demokratie immer gerungen werden muss" - viel zum Positiven verändert; es gebe z.B. im nichtkirchlichen Bereich Rechtssicherheit für betroffene Arbeitnehmer.
Lernprozess in Kirche ist "ambivalent"
In der Kirche sieht die aus Deutschland stammende Theologin diesen Lernprozess "ambivalent", wie sie sagte. Es gebe jetzt verständnisvolle, änderungsbereite Aussagen sowie Zusagen von Bischöfen, dass geoutete Queers ihre Arbeitsstelle nicht verlieren würden, die vor zehn, 15 Jahren noch undenkbar gewesen wären. Andererseits bestehe nach wie vor die Vorgabe der traditionellen theologischen Anthropologie, "da verändert sich nichts". Und wäre dies der Fall, sei mit einem "Dominoeffekt" zu rechnen, prognostizierte Werner: Denn dann würde sich z.B. auch die Zulassung zum kirchlichen Amt ändern, es gäbe schwule und "nicht cis-Männer" (solche, deren Geschlechtsidentität nicht übereinstimmt mit ihrem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht, Anm.) als Priester.
Einen wichtigen Unterschied macht es nach den Worten der Theologin, ob in der Debatte mit queeren Menschen geredet wird oder nur über sie. Im deutschen Synodalen Weg seien Geoutete am Tisch gesessen, "das verändert eine Debatte". Werner hofft, dass auch bei der Bischofssynode, die 2023 den laufenden synodalen Prozess der Weltkirche abschließen wird, nicht nur Lehramtsträger, sondern auch Laien und Laiinnen und Queers eingebunden sind.
In der wissenschaftlichen Theologie gibt es nach Beobachtung Werners nur mehr eine Minderheit, die die "Schöpfungsordnung" im traditionellen Verständnis aufrechterhalten möchte. Auch die vermeintlichen biblischen Vorgaben (Gott schuf nach seinem Abbild den Menschen als Mann und Frau) würden in der Exegese zunehmend breiter verstanden und argumentative Engführungen hinterfragt.
Biblikerin: Genesis breiter verstehen
Ein Beispiel dafür gab die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer mit ihren Erkenntnissen zum Schöpfungsbericht aus dem Buch Genesis, wonach Gott den Menschen als "männlich und weiblich" erschaffen hat. Dieser Text wähle eine Bezeichnung, die ausschließlich auf die sexuelle Differenzierung verweist und auch bei Tieren verwendet wird, nicht aber auf die damit verbundenen sozialen Genderkonstruktionen. Dabei sei beachtenswert, dass die in patriarchalen Gesellschaften übliche Hierarchisierung der Geschlechter völlig fehlt, so Fischer gegenüber Kathpress.
Vers Gen 1,27 (... als Mann und Frau schuf Er sie...) sei "ebenso polar formuliert" wie viele andere Schöpfungswerke, erklärte die Alttestamentlerin. Damit könne man in diesem Text nicht von einer "Normativität der Heterosexualität" sprechen. Vielmehr seien diese polaren Aussagen so auszulegen, "dass selbstverständlich alles zwischen den Polen ebenso erschaffen wurde, in diesem Fall sämtliche geschlechtlichen Formen und sexuelle Orientierungen". "Männlich" und "weiblich" bilden laut Fischer die äußeren Pole, die allein fruchtbar sind und den Mehrungsauftrag erhalten, um die Erde zu füllen. Für sie heißt dies auch, dass ein Verbot von Empfängnisverhütung nicht biblisch begründbar ist: "Wenn die Erde voll ist, ist der Auftrag nicht mehr uneingeschränkt aufrechtzuerhalten."
Das von Gunda Werner mit herausgegebene Buch "Out in Church. Für eine Kirche ohne Angst" hat der Herder-Verlag für Mai angekündigt. Darin kommen als LGBTIQ+ betroffene hauptamtliche, ehemalige und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche in Deutschland ebenso zu Wort wie Fachleute, die darlegen, welche psychischen Auswirkungen es haben kann, wenn sie ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität verheimlichen müssen.
Quelle: kathpress