Ethikerin Kummer: Cannabis alles andere als harmlos
Kritisch gegenüber der Drogenpolitik der neuen deutschen Ampelregierung hat sich das Wiener Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) geäußert. Von der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen kontrollierten Freigabe von Cannabis für den Freizeitkonsum erhoffe sich die Politik zwar Steuereinnahmen von bis zu 2,8 Milliarden Euro jährlich sowie auch neue Arbeitsplätze, absehbare Gesundheitsschäden besonders für Jugendliche nehme man dabei aber bewusst in Kauf. "Eine verpflichtende Zweckverwendung der Steuereinnahmen für das Gesundheitswesen kommt nirgends vor", mahnte IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer in einer Aussendung vom Montag.
Umfassende Studien hätten in den vergangenen 20 Jahren gezeigt, dass Cannabis "alles andere als harmlos" ist, fasste die Ethikerin den Forschungsstand zusammen. "Die Droge macht sehr schnell abhängig, kann Depressionen, Psychosen und andere schwere psychische Erkrankungen auslösen und bahnt den Weg zu harten Drogen." Jüngste Ergebnisse einer 2021 publizierten US-Studie zeigten, dass der Cannabis-Konsum das Gehirn von Jugendlichen unter 25 Jahren nachweislich und dauerhaft schädigt. Im US-Bundesstaat Colorado musste nach der Legalisierung von Cannabis die Kapazität der Jugendpsychiatrie aufgrund der rasant ansteigenden Anzahl von Süchtigen und durch Cannabis hervorgerufenen Psychosen verdoppelt werden.
Die jüngste Studie, publiziert im JAMA Network Open (doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.42521), zeigt einen laut Kummer "erschreckenden" Anstieg der Anzahl der Notfalleinsätze aufgrund einer Cannabisvergiftung bei Kindern in Kanada seit der Legalisierung im Jahr 2018 - nämlich um das Neunfache. Insbesondere nach dem Konsum von Lebensmitteln wie Cannabis-Keksen oder Cannabis-Gummibärchen sei die Zahl explodiert. Ebenso habe sich auch die Zahl der Kinder, die stationär aufgenommen werden müssen, verdoppelt. Ihr Durchschnittsalter betrug zwischen drei Jahren und neun Monaten. Jede zehnte Vergiftung von Kindern, die in der zentralen Notaufnahme in Ontario untersucht wurden, war auf den Konsum von cannabishaltigen Produkten zurückzuführen. Knapp ein Drittel (32,7 %) der Kinder musste aufgrund ihrer Vergiftung im Krankenhaus behandelt werden, ein Teil (3,6 %) sogar auf der Intensivstation. Einen Todesfall gab es bisher nicht.
Für die Studie hatten die Wissenschaftler des Krankenhauses Ottawa und die Abteilung für Familienmedizin der Universität in Ottawa alle Einlieferung in die Notfallambulanz von Kindern der Provinz Ontario (14,6 Millionen Einwohner) in drei Zeiträumen untersucht: vor der Legalisierung von Cannabis (2016 bis 2018), nach der Legalisierung von Cannabis-Blüten, -Samen und -Ölen (2018 bis 2020) sowie nach der Freigabe von cannabishältigen Lebensmitteln (Februar 2020). Im gesamten Studienzeitraum kam es zu 522 Einlieferungen in die Notaufnahme aufgrund von Vergiftungen bei Kindern. Während glücklicherweise die Gesamtvergiftungszahl bei Kindern abnahm, stieg während der Covid-19-Pandemie der Anteil an Cannabis-Vergiftungen zusätzlich an, was mit dem erhöhten Cannabis-Konsum von Erwachsenen in der Pandemiezeit zusammenhängen dürfte.
"Die Ergebnisse sind deshalb so dramatisch, weil sich Kanada von der Legalisierung ja erhofft hatte, dass der versehentliche Konsum bei Kindern abnimmt", wurde Studienleiter Daniel Myran in der IMABE-Aussendung zitiert. Es gebe zwar Vorschriften, wie hoch die Konzentration in den Lebensmitteln sein darf, sowie auch für kindersichere Verpackung. Außerdem sollte durch Schulungen von Eltern und Betreuungspersonen die Gefahr für Kinder sinken. "Die Zahlen der Studie zeigen jedoch, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde", schlussfolgerte Myran.
Scharfe Kritik an einer möglichen Legalisierung von Cannabis in Deutschland hatte im November auch der 125. Deutsche Ärztetag (DÄT) geäußert. "Die Legalisierung verharmlost die gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums für Kinder und Jugendliche", hieß es in einer Stellungnahme. Die Ärzte warnen vor möglichen Risiken für die Gesundheit der Konsumierenden und Folgen für die medizinische Versorgung. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass es zu einer Zunahme von cannabisbedingten Notaufnahmen, erhöhtem psychiatrischen Behandlungsbedarf sowie cannabisbedingten tödlichen Verkehrsunfällen und Suiziden komme.
Quelle: kathpress