Autorin: "Ungeimpft"-Judensterne sind eine "grobe Verdrehung"
Mehr Normalität im Umgang mit Jüdinnen und Juden und ein Ende des Hasses im Netz wünscht sich die Wiener Journalistin Alexia Weiss von der Gesellschaft. Derzeit kämen jahrhundertealte judenfeindliche Bilder wieder hoch und es würden Verschwörungsmythen reaktiviert, die an gegen Juden gerichtete Geschichten aus Pestzeiten wie angeblich vergiftete Brunnen als Pandemie-Ursache anschließen würden. Diese hätten einst Verfolgungen mit hunderttausenden jüdischen Todesopfern ausgelöst, warnte die Autorin im Interview mit der Kirchenzeitungs-Kooperationsredaktion zum kirchlichen "Tags des Judentums" am 17. Jänner. Begleitet würden solche Mythen von "verqueren Erscheinungen" wie das Tragen von Judensternen mit "ungeimpft"-Aufschriften bei Protesten gegen die Corona-Impfpflicht.
Eine "grobe Verdrehung" seien solche auf den Nationalsozialismus verweisende Selbstmarkierungen insofern, da dabei wichtige Tatsachen übersehen würden: "Dass damals die Leute verfolgt wurden, allein weil sie Juden waren. Sie sind vom NS-Regime gezwungen worden, den gelben Stern zu tragen, während man sich jetzt entscheiden kann, ob man sich impft oder nicht", stellte Weiss klar. Bei einer Impfpflicht gebe es bei Verstoß zwar eine Geldstrafe, aber es werde niemand deswegen verfolgt. Hingegen habe der nationalsozialistische, systematische Völkermord in Konzentrations- und Vernichtungslagern in Europa sechs Millionen jüdische Opfer betroffen, darunter mehr als 65.000 aus Österreich.
Dass Jüdinnen und Juden in Europa mehr als 75 Jahre nach dem Holocaust wieder vermehrt mit Anfeindungen und Übergriffen konfrontiert seien, hatte zuletzt die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien mit 562 gemeldeten Vorfällen allein im ersten Halbjahr 2021 gezeigt. Besonders im Internet sei Hass gegen Jüdinnen und Juden verstärkt an der Tagesordnung und deshalb gefährlich, weil er sich dort wie eine Lawine rasant verbreite, unterstrich Weiss: "Die rund 8.000 Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien können nicht alles auffangen und korrigieren, was da passiert. Oft kommt es eben zu verdecktem Antisemitismus." Viele Teilnehmer an Corona-Forengruppen merkten nicht, dass es sich dabei um Judenfeindlichkeit handle.
Wie facettenreich das "Gemengelage an Befindlichkeiten gegenüber Jüdinnen und Juden" in Österreich ist, hatte Weiss zuletzt in ihrem Buch "Jude ist kein Schimpfwort" (2021) aufgezeigt. "Wir begegnen auch einer übertriebenen Vorsicht den Juden gegenüber und einer Hemmschwelle, Dinge konkret anzusprechen oder offen Fragen zu stellen, aus Angst, diskriminierend zu sein", erzählte sie. Es gebe aber auch eine Art der Überhöhung. "Eine weitere Facette ist, dass jüdische Einrichtungen wegen der Gefahr vor Anschlägen und Übergriffen stark kontrolliert und beschützt werden müssen."
Wünschenswert für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen wären laut Weiss mehr Möglichkeiten zu Gesprächen und gegenseitige Fragen. In Wien, wo die Infrastruktur mehr orthodoxes jüdisches Leben als in vielen anderen europäischen Städten ermögliche, böten unter anderem der Tag der offenen Türe der Israelitischen Kultusgemeinde und deren Sommerfest Gelegenheit dazu. Auch der Abbau von "Hemmschwellen" sei wichtig. So sollte beispielsweise der Gang auch in die jüdische Buchhandlung oder in den koscheren Supermarkt zu einer Selbstverständlichkeit werden, oder "dass eine Synagoge - das gilt auch für Moscheen - genauso problemlos dastehen kann wie eine evangelische oder eine katholische Kirche", betonte Weiss, die u. a. für das jüdische Magazin "Wina" schreibt und bei der "Wiener Zeitung" zum Thema "Jüdisch leben" unter www.wienerzeitung.at/meinung/blogs/juedisch-leben bloggt.
Quelle: kathpress