Scheuer: Feste sind ein "wichtiges Nahrungsmittel für die Seele"
Soll angesichts des drohenden Infektionsanstiegs durch die neue Virus-Mutation Omikron Weihnachten überhaupt gefeiert werden? Ja, meinte dazu der Linzer Bischof Manfred Scheuer im Interview der "Wiener Zeitung" (23. Dezember): "Ich glaube, dass es wichtig ist, das Leben zu feiern." Weihnachten könne auch in sehr ausgesetzten, schwierigen Situationen gefeiert werden. "Die Zusage, die damit verbunden ist, hält auch und gerade in Schwierigkeiten", betonte Scheuer. Im liturgischen Bereich gebe es zu Weihnachten nach wie vor strenge Abstandsregeln und FFP2-Maskenpflicht. Feiernde sollten sich ganz klar an die geforderten Beschränkungen halten, "um einander zu schützen, aber auch, um einander die Freiheit zu geben, feiern zu können", sagte der Bischof.
Gerade Feste seien ein "wichtiges Nahrungsmittel für die Seele". Sich freuen zu können, Gemeinschaft zu erleben gebe auch Kraft und Rückhalt. Scheuer verwies auf die sogenannten Nebenwirkungen der Pandemie, die manchmal nicht bedacht würden: "Gerade die Vereinsamung von alten Leuten oder die Frage, wen Kinder und Jugendliche treffen können, das macht psychisch sehr viel mit ihnen."
Die seit fast zwei Jahren andauernde Pandemie, aber auch die Politik und das Leben insgesamt zeigen laut Scheuer: "Wir machen nicht alles perfekt. Es gibt viele Variablen und Fehlerquellen." Es sei kaum vorhersehbar, wie die Situation in zwei Wochen aussehen wird. Somit sei es wichtig zu sehen: Wissen und Aktionsradius sind durchaus beschränkt, "man kann auch sagen: endlich" - zugleich bedeute das aber auch: lern- und korrekturfähig. Bei der Überwindung der Pandemie geht es nach den Worten Scheuers "nicht darum, recht zu haben oder Recht zu bekommen, sondern: Wie können wir gemeinsam einander schützen? ... Und wie können wir Versöhnung über manche Gräben hinweg ermöglichen?"
Zur Frage der Impfpflicht verwies der Bischof auf die zunächst zuständige Politik und Wissenschaft. Er vertraue dem Urteil, "dass das der derzeit angemessene Weg ist, um die Gesellschaft zu schützen". Ethiker versuchten Aspekte auszuloten wie: Was macht das mit der psychischen Gesundheit? Wie gehen wir mit Ängsten um? Was macht es mit unserer Gesellschaft? Was sind die ökonomischen Folgen? Die Frage der Wirtschaftlichkeit könne dabei laut Scheuer nicht ausgeklammert werden, denn die Nebenfolgen eines Wirtschaftseinbruchs seien auch der Gesundheit nicht dienlich. Die österreichischen Bischöfe hätten mit ihrer Erklärung "Schützen. Heilen. Versöhnen." auch die Frage der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Erfolgsaussichten einer Impfpflicht als Ultima Ratio angesprochen, erinnerte Scheuer. Klar sei: "Es darf keinen Impfzwang geben."
Nicht von eigener Befindlichkeit ausgehen
Der Linzer Bischof regte an, in der momentan so konfliktgeladenen Impfdebatte nicht von der eigenen Befindlichkeit auszugehen, sondern den Blick zunächst auf die Covid-Erkrankten und auf das höchst geforderte, "manchmal überforderte" medizinische Personal zu richten. "Ich glaube aber schon auch, dass wir die Pandemie erst dann wirklich überwinden können, wenn die Impfquote weltweit entsprechend hoch ist." Jetzt sei einmal die Grundentscheidung gefallen, die Sicherheit über die Impfung und die Impfpflicht zu suchen. Scheuer: "Man kann nicht einen Weg nach ein paar Schritten wieder revidieren und dann anders gehen - das würde nur alles durcheinanderbringen und wäre eine Form von gesundheitspolitischer Anarchie."
Angesprochen auf die diesbezüglich ablehnende FPÖ meinte Scheuer: "Grundsätzlich würde ich schon einen Unterschied machen zwischen 'Ich bin gegen das Impfen' und 'Ich bin gegen die Impfpflicht'." Der werde auch innerhalb der Freiheitlichen gemacht, "gerade in Oberösterreich, wo der Landesparteiobmann (Manfred Haimbuchner, Anm.) selbst an Covid erkrankt war". Hier gebe es durchaus Differenzen zwischen Landes- und Bundespartei.
Zur im Herbst erneuerten ÖVP-FPÖ-Koalition in Oberösterreich erinnerte Scheuer an das "Mariazeller Manifest" von 1952, demzufolge sich die katholische Kirche "keiner politischen Partei mehr besonders zugeordnet fühlt oder Wahlempfehlungen abgibt". Auf Bundes- wie auf Landesebene sehe er ein Miteinander in wichtigen Fragen, "das sich zwar leider da und dort brüchig zeigt". Aber er hoffe, dass es gerade auch die nächsten Herausforderungen bestehen wird. In Oberösterreich habe der jüngste Lockdown am längsten gedauert. Ob die getroffenen Maßnahmen angemessen waren, obliege nicht der Beurteilung eines Bischofs, sondern der Mediziner.
Kirche erlebt Positives und Schwieriges
Die Situation der Kirche während und nach der Corona-Krise beschrieb der Linzer Bischof differenziert: In den vergangenen 22 Monaten habe sie "sehr positive und auch sehr schwierige Phasen durchlebt". Die Lockdowns hätten zu sehr kreativen Formen der Solidarität geführt, des Einander-Beistehens, auch des Feierns - auch über virtuelle Kanäle. "Immens hoch" sei die Teilnahme an Radio- und TV-Gottesdiensten gewesen. "Natürlich müssen sich die Gottesdienstgemeinden erst wieder finden", merkte Scheuer an. In der Diözese Linz versuche die Leitung mit dem Strukturprozess auf pfarrlicher Ebene und der Ämterreform zukunftsfähig zu werden.
Dabei gehe es aber um mehr als Strategien. "Denn der Glaube lässt sich genauso wenig erzwingen wie eine Freundschaft. Auch eine Gemeinschaft lässt sich nicht rechtlich einfordern", sagte Scheuer. Insofern wisse er nicht, "wie wir in fünf Jahren dastehen werden". Er gehe "nicht euphorisch" in die nahe Zukunft "und sehe manche Entwicklungen als belastend an, andere als zumindest verheißungsvoll". Jedoch sei er überzeugt, so der Bischof weiter, "dass es in Oberösterreich Menschen gibt, junge und alte, die vom Glauben und vom Evangelium erfüllt sind, das Leben miteinander teilen wollen, füreinander einstehen wollen und auch eine Sorge haben für Arme und Benachteiligte".
Quelle: kathpress