"Profanierung des Sakralen"?
Debatte über Tück-Kritik an Impfstraßen hält an
"Profanierung des Sakralen"?
Debatte über Tück-Kritik an Impfstraßen hält an
Die vom Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück in einem Essay für die "Kleine Zeitung" am 12. Dezember geäußerte Kritik an "Impfstraßen in Kathedralen" und seine Warnung vor einer "Profanierung des Sakralen" hat ihre Wirkung nicht verfehlt: Auf zahlreichen Portalen im deutschsprachigen Raum schlug sich die Meldung nieder - und sie erregte u.a. unter Theologen der eigenen Wiener Fakultät Widerspruch. So äußerte der Wiener Professor für Theologie des christlichen Ostens, Thomas Németh, Kritik aus ostkirchlicher Perspektive; der Moraltheologe Gunter Prüller-Jagenteufel monierte, eine Kirche sei kein Tempel und der Fundamentaltheologe Wolfgang Treitler ortet eine Art Ablenkungsmanöver von der "Verbrechensgeschichte des innerkirchlichen Missbrauchs".
Zur Ausgangslage: Tück hatte in einem Essay für die "Kleine Zeitung" über die mit Advent und Weihnachten verbundene christliche Hoffnung räsoniert. Gerade die Advent- und Weihnachtszeit sei ein willkommener Anlass, neu über die Gegenwart Gottes nachzudenken, die sich in christlicher Lesart unüberbietbar im Kind in der Krippe und damit in Schwachheit und Verletzlichkeit zeige. "Von dieser Hoffnung auch heute zu sprechen und das Friedenspotenzial des Advents freizulegen, das wäre heilsamer als die Profanierung des Sakralen voranzutreiben und Impfstraßen in Kathedralen zu errichten, als gäbe es dafür nicht andere Orte", so Tück wörtlich. Die Kirche solle sich in Spitälern um Kranke kümmern - schließlich seien ihr "Leib- und Seelsorge gleichermaßen wichtig", ergänzte der Theologe. "Aber Kathedralen sind Statthalter des Heiligen in dieser Welt, sie sollten nicht als verlängerter Arm staatlicher Gesundheitspolitik missbraucht werden."
Gegenüber Kathpress formulierte nun der Wiener Ostkirchen-Experte Thomas Németh - er ist selber Priester der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche - eine theologische Kritik an den Aussagen Tücks. Sakralität sei in ostkirchlichem Verständnis "vieldimensional und angesichts der Menschwerdung Gottes und des Geistwirkens dynamisch zu verstehen". Die Gottesdienst feiernde Gemeinschaft sei entscheidend für das Geschehen im Kirchenraum; dieser sei "eher ein Versammlungsort der Gemeinde (der dem Wohl der Menschen dient), als ein abgesonderter Bereich (obwohl es diesen hinter der Ikonostase auch gibt)", schreibt Németh in einem Kommentar.
Der Theologe ortet in diesem Zusammenhang "offensichtlich gewisse Ängste, auch beim innerkatholischen Wiederaufleben von 'Ontologisierungen', die auch die Gestalt des Priestertums betreffen." Dagegen verwies Németh auf Erfahrungen etwa auf dem Kiewer Maidan 2014, wo die Kirche des dortigen St. Michaelsklosters spontan zu einem Operationssaal und Lazarett umfunktioniert wurde. "Mich haben diese Bilder gerade mit ihrer Spannung zwischen Leitourgia und Diakonia beeindruckt, das gibt auch Mt 25,40 locker her."
Prüller-Jagenteufel: Im Christus-Ereignis überwunden
Aus christologischer Sicht formuliert der Wiener Moraltheologe Gunter Prüller-Jagenteufel seine Kritik an Tück: "Die Trennung von Profan und Sakral ist mit dem Christusereignis obsolet", schreibt Prüller-Jagenteufel in einem Beitrag auf Facebook. Daher dürfe ein Kirchenraum auch nicht als "Sakralraum" im Sinne von "aus der Welt enthoben" verstanden werden: "Die Kirche ist kein Tempel, sondern Versammlungsort der Gemeinde für den Gottesdienst. Und alles, was Heil bedeutet ('außer der Sünde'), hat in diesem Raum Platz. Und das waren Kirchen historisch auch die längste Zeit: Multifunktionsorte für alles gemeindliche Handeln."
Wenn nun in Kirchen geimpft werde, so diene dies dem Heil, so der Theologe weiter, - und zwar nicht nur dem eigenen, sondern auch dem Heil des Nächsten. Daher habe eine Impfung durchaus "natürlich auch Platz in der Kirche" - und sie profanisiere den Gottesdienstraum keineswegs, "vielmehr weist sie darauf hin, dass christliches Leben weder Sonntagschristentum noch Kult ist, sondern Leben aus der Liebe."
Missbrauch "profanisiert" mehr als Impfungen
Wenn jedoch etwas zur Profanisierung des Sakralen beitrage, dann sei das nicht die Impfung, sondern vielmehr "die Verbrechen am wahren 'Tempel Gottes', (d.h. an Menschen), die in der Kirche noch immer nicht hinreichend in den Blick genommen sind": Dies sei der geistliche und leibliche Missbrauch, der eindeutig als Blasphemie angesehen werden müsse: "Angesichts der Tatsache, dass die Blasphemie des geistlichen und leiblichen Missbrauchs immer offener zutage tritt, ist die Sorge von Jan-Heiner Tück nur noch unverständlich", so Prüller-Jagenteufel.
An diesem letzten Punkt knüpft schließlich auch der Wiener Fundamentaltheologe Wolfgang Treitler an: Die von Tück eingeführte Unterscheidung zwischen profan und sakral sei wohl weder christlich-theologisch noch jüdisch zu verstehen, sondern habe eine klerikale Schlagseite bzw. sei "von Laienseite her co-klerikal intoniert". Dies sei abzulehnen - "nicht zuletzt deshalb, weil es mehr als auffällig ist, wie bestimmte Argumentationslinien, breit ausgebaut, sich als Gedankenautobahnen eignen, um weitläufig die (anhaltende!) Verbrechensgeschichte des innerkirchlichen Missbrauchs zu umfahren und damit zu ignorieren."
Klarstellung durch Theologen Tück
Tück stellt auf Anfrage von Kathpress klar, seine pointierte Reaktion sei durch die Aussage des Dompfarrers provoziert worden, kein Mitleid mehr mit Ungeimpften zu haben. Mitleidlosigkeit sei keine christliche Tugend, das habe er theologisch klarstellen wollen. Sein Beitrag zum Advent "Gott - der Pfeil der Sehnsucht" habe dafür geworben, eine Gesprächskultur zu fördern, welche das berechtigte Moment der anderen Seite zur Kenntnis nehme. "Ich bedaure, dass ich durch meine pointierte Kritik an Impfstraßen in Kirchen nun ausgerechnet selbst unfreiwillig die Polarisierung befeuert habe."
Die polyfone Kritik zeige aber auch die Komplexität des Problems. "Und letztlich ist es ein schönes Zeichen für die Vitalität theologischer Diskussionskultur, dass meine Warnung vor der Profanierung des Heiligen ein solch polyfones Echo erzeugt hat", so Tück.
Quelle: Kathpress-Infodienst vom 17.12.2021