Suizidbeihilfe: Experten befürchten enorme Schäden für Gesellschaft
Das dem Parlament vorliegende Suizidbeihilfe-Gesetz wird in Österreichs Geschichte und Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen: Darüber waren sich Kritiker wie Befürworter der umstrittenen, ab 2022 aber wohl juristisch neu möglichen Form des Sterbens bei einer Podiumsdiskussion in Wien einig. Bei der von Cartellverband (ÖCV), "Kurier" und "schauTV" organisierten Veranstaltung diskutierten am Dienstagabend Peter Schipka und Stephanie Merckens als Kirchenvertreter, Elisabeth Pittermann und Andrea Kdolsky aus Medizin und Politik, die Studentin Martina Tiwald, sowie Eytan Reif und Wolfram Proksch als Sterbehilfe-Befürworter. Während letztere das Gesetz als "ersten Schritt in die richtige Richtung" sahen, dominierte bei den anderen die Sorge über negative Folgen bis hin zu einem "Dammbruch".
Ein düsteres Zukunftsbild zeichnete Stephanie Merckens vom kirchlichen Institut für Ehe und Familie (IEF). "Mich erschreckt, dass wir in eine Gesellschaft hineinwachsen, wo einem Menschen immer mehr Verständnis entgegengebracht wird für die Umstände, um sich das Leben zu nehmen", so die Juristin. Mit der Suizidbeihilfe gehe eine Umdeutung von Wörtern und der Verlust eines bisherigen Grundkonsenses einher. "'Haben Sie Suizidgedanken? Holen Sie sich Hilfe!' heißt ab 1. Jänner 2022 etwas völlig anderes", betonte Merckens. Außer "Hilfe" würden auch weitere Begriffe wie "Menschenwürde", "Menschenrechte", "Barmherzigkeit" oder "Schutz des Lebens" ins komplette Gegenteil verkehrt und die Haltung, "dass Suizid etwas Vorzubeugendes, zu Verhinderndes ist", drohe verloren zu gehen.
Kritik äußerte Merckens an der durch Sterbehilfe-Befürworter geschaffenen Neudefinition von "Autonomie". Dabei handle es sich um "nichts anderes als Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Personen, die von anderen abhängen", so die kirchliche Expertin, die hinzufügte: "Abhängigkeit voneinander ist jedoch in Wahrheit nicht menschenunwürdig, sondern menschentypisch." Der herausragende Wert und die Würde jedes Menschenlebens werde zunehmend überdeckt von Ansprüchen eines Leistungs-, Gesundheits- und Schönheitsideals. Den eigenen Selbstwert aufrechtzuerhalten werde damit immer schwieriger, "und ich werde in Zukunft viel Kraft aufwenden müssen, um zu beweisen, dass ich mit einer schwierigen Situation leben kann".
Rechtsanwalt Wolfram Proksch, der die Lockerung des bisherigen Suizidbeihilfe-Verbots beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) erwirkt hatte, sah durch die Neuregelung eine "Enttabuisierung des Todes" erreicht. Diese will er jedoch schon bald anfechten, aus mehreren Gründen: So sei es weiterhin ein "paternalistischer Zugang", vor dem assistierten Suizid eine doppelte ärztliche Begutachtung zu verlangen, und Wartefristen seien eine übergroße Hürde. Beim Zugang zum tödlichen Präparat hätte sich der Jurist hingegen striktere Handhabung gewünscht: Dass dieses nach der Zusendung aus der Apotheke dann auf dem Nachtkästchen liege, werde Patienten jeden Tag überlegen lassen, "ob man den Suizid vollstrecken will oder nicht - oder ob man damit andere umbringt", was "absurd" sei. Für einen "entspannteren Zugang" zum Tod solle die Gesellschaft schließlich auch den "Bilanzsuizid" ins Auge fassen.
"Grenze überschritten"
Dem entgegen bekräftigte Elisabeth Pittermann, die ehemalige Präsidentin des Arbeiter-Samariterbunds und des Hospiz- und Palliativforums, ihre weiterhin strikte Ablehnung jeglicher Öffnung der Sterbehilfe. Sie habe "Angst davor, dass das Töten leichter von der Hand geht", so die Ärztin und langjährige SPÖ-Politikerin. Aufgrund der Ermordung vieler Mitglieder ihrer jüdischen Familie mütterlicherseits im Nationalsozialismus sei es immer ihr Wunsch gewesen, "in einer Gesellschaft zu leben, für die das Töten anderer unmöglich ist". Diese Grenze werde nun jedoch überschritten mit dem Assistierten Suizid, der "die Schleusen öffnet". Ein "Dammbruch" sei bereits absehbar.
Kritisch äußerte sich die einstige Nationalratsabgeordnete und Wiener Gesundheitsstadträtin auch zur Übertragung entscheidender Aufgaben im Rahmen der Suizidbeihilfe an Ärzte, darunter die Verschreibung des tödlichen Präparats durch Palliativmediziner. "Wir sind doch nicht für Gifte zuständig", so die Vorkämpferin im Palliativ- und Hospizwesen. "Arg" sei auch, dass Medizinern und anderen Berufen abverlangt werde, unter alle eigenen Handlungen und Fachmeinungen die Unterschrift zu setzen und sich somit haftbar zu machen. "Warum gilt das für die Verfassungsrichter nicht?" Die Gesellschaft habe ein Recht zu erfahren, wer im VfGH für das Erkenntnis zur Neuregelung der Sterbehilfe gestimmt habe und wer dagegen, so Pittermann.
Eine weniger eindeutige Position bezog die frühere ÖVP-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky. Positiv sei für sie, "dass wir nun endlich einmal über die Palliativversorgung nachgedacht haben" - was Diskussionspartnerin Merckens freilich mit der Bemerkung relativierte, die dafür angekündigten Geldmittel "haben wir noch nicht", womit es sich bisher nur um ein politisches Versprechen handle. Der "Kunst des Gesetzemachens" habe der Werdegang des "Sterbeverfügungsgesetzes" jedenfalls nicht entsprochen, denn es handle sich dabei wegen offensichtlicher Fehler um ein "Husch-Pfusch-Gesetz", kritisierte Kdolsky. Dass das Gesetz für Suizidwillige zahlreiche Bedingungen und Hürden schaffe, sei aus Sicht ihrer Erfahrung als Intensivmedizinerin gut, "da viele lange hin und her überlegen und Expertise brauchen".
Zahnloses Gesetz
Dass es mit den oft ins Treffen geführten Sicherheitshürden im Gesetz für Suizidwillige, die etwa Eytan Reif vom Verein "Letzte Hilfe" bei der Debatte als übertriebene Maßnahme kritisierte, nicht so weit her ist, legte Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka dar. Vielmehr sei es so, dass in der dem Nationalrat vorgelegten Regelung weder Wartefristen noch eine Sterbeverfügung, weder dauerhafter Wille noch ein bestimmtes Tötungsmittel für legale Suizidbeihilfe als zwingend notwendig erachtet werden. "Da die Sterbeverfügung nicht im Strafrecht verankert ist, reicht es, dass ein Patient volljährig ist, die festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllt und von zwei Ärzten beraten wurde, um jegliches Mittel zur Selbsttötung ausgehändigt zu bekommen und sofort zur Tat schreiten zu können", warnte der Theologe und Jurist.
Das von der Kirche mit Vehemenz angefochtene Gesetz bezeichnete der Generalsekretär der Bischofskonferenz als "Zäsur in der Geschichte". "Erstmals wird nicht einfach über Sterben und Sterbenlassen, sondern über den erlaubten Beitrag zur Tötung gesprochen - auch wenn die Tötungshandlung durch den Menschen selbst erfolgt". Nachdem die Regierung die vielen Einwände gegen die Gesetzesvorlage einfach ignoriert habe, müsse nun darauf hingearbeitet werden, "dass der Wegfall der Schutzfunktion des Strafrechts nicht zu einer Minderung der Humanität und des Schutzes in tragischen Krisen führt", so Schipka weiter.
Die Kirche wolle daher ihren Einsatz für die Begleitung von Menschen, "um ihnen beim Leben zu helfen, nicht beim Sich-Töten", noch verstärken und Alternativen aufzeigen, damit ein Mensch "an der Hand, nicht durch die Hand eines anderen" sterben könne, zitierte der Generalsekretär den früheren Wiener Erzbischof Kardinal Franz König (1905-2004). An der Suizidprävention gelte es unbedingt festzuhalten, denn: "Dass jeder Suizid einer zuviel ist, sagt auch die WHO", betonte Schipka. Auf ähnliche Weise appellierte auch die Theologiestudentin und frühere Vorsitzende der Bundesjugendvertretung, Maria Tiwald, die Gesellschaft müsse künftig noch gezielter als bisher den Zusammenhalt fördern: Ziel seien dabei stabile Beziehungen, gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung.
Quelle: kathpress