Zulehner zu assistiertem Suizid: Nur strenge Regeln sichern Freiheit
Eine strenge gesetzliche Regelung des assistierten Suizids, die auch strafrechtliche Implikationen enthält, ist gerade keine Einschränkung der menschlichen Freiheit, sondern dient dazu, diese Freiheit sicherzustellen. Das betont der Pastoraltheologe, Religions- und Werteforscher Paul M. Zulehner in einem Gastkommentar im "Standard" bzw. in einem Beitrag in seinem Blog (https://zulehner.wordpress.com/). Er weist darin auch vehement Vorwürfe zurück, die der katholischen Kirche bzw. Vertretern eine zu rigide oder auch unbarmherzige und "unjesuanische" Einstellung vorwerfen, wenn sie sich für strenge Regelungen aussprechen bzw. in Einrichtungen der Orden oder der Caritas einen assistierten Suizid grundsätzlich ausschließen.
Zulehner betont eingangs die Bedeutung des Strafrechts, das immer die grundlegenden Güter zu schützen hat. Je grundlegender das Gut, desto gründlicher und dringlicher sei der Schutz. "Nun ist das Leben das grundlegende (nicht das höchste) Gut. Alle anderen Güter wie die Freiheit bauen erst auf diesem Fundament auf: Denn es gibt keine menschliche Freiheit ohne menschliches Leben", so der Theologe.
Für Zulehner steht außer Zweifel, dass es in pluralistisch-postchristlichen Zeiten nicht mehr angebracht ist, eine christliche Wertordnung mit strafrechtlichen Mitteln durchzusetzen. Die Kirchen seien in dieser Frage ein Player unter vielen. Das Strafrecht spiegle wider, welche Werte als Ergebnis eines demokratischen Prozesses für so zentral erachtet werden, dass sie über das Strafrecht abgesichert werden sollen. Das Erkenntnis des VfGH verlange nun eine rechtliche Neuregelung der Beihilfe zum Suizid. Die freie Selbstbestimmung des Menschen diesbezüglich solle so gewichtet werden, dass sie auch ausübbar bleibt, gegebenenfalls unter Assistenz. Wenn jemand Unterstützung beansprucht, soll diese (künftig) straffrei möglich sein. Zugleich solle sichergestellt werden, dass unter dem Deckmantel der Hilfeleistung zum Suizid keine Einschränkung der Freiheit erfolgt.
Deshalb sei es so essenziell wichtig sicherzustellen, dass der Suizidwunsch und das Ersuchen um Assistenz wirklich "frei" und von Fremdinteressen freigehalten vorgebracht werden kann. Zulehner verweist in diesem Zusammenhang auf Erwin Ringel und dessen Selbstmordforschungen. Ringel betone mit Blick auf einen Suizid, dass diesem ein "präsuizidales Syndrom" vorausgehe, das sich manchmal über Jahre hinweg ausbilde. Dieses bestehe darin, dass u.a. die Welt zunehmend eng und kommunikationsarm wird. Letztlich verliere dabei der betroffene Mensch seine freie Handlungsfähigkeit, damit auch seine Schuldfähigkeit.
Freiheit wirksam sichern
Das praktische Problem bestehe im Falle des assistierten Suizids also gar nicht darin, dass Freiheit eingeschränkt werden soll, sondern dass diese selbst längst in vielen Einzelfällen als eingeschränkt erscheint. Zulehner: "Wenn heute - nicht nur von den Kirchen, sondern von Menschen auf dem Boden eines verantworteten Humanismus eine professionelle Beratung sowie eine abgesicherte Sterbeverfügung verlangt werden, dienen diese nicht dem Durchsetzen einer christlichen Wertordnung, sondern der rechtlichen Absicherung der Freiheitsgrade eines möglicherweise von Verzweiflung, jedenfalls aber von Suizidgedanken bedrängten Menschen." Genau das verlange auch das Erkenntnis des VfGH vom Gesetzgeber: Freiheit wirklich und wirksam zu sichern.
Unterbleiben diese freiheitssichernden Maßnahmen, könnten personfremde Interessen von dritter Seite leicht Eingang finden, warnt Zulehner: "Die Forschung nennt die hohen Kosten des Gesundheitssystems, die enorme Belastung der pflegenden Angehörigen und Einrichtungen." Schwer wiege in unübersehbaren Fällen auch die Angst, anderen zur Last zu fallen. Und auch Erben mache manchmal glücklich, gibt der Theologe zu bedenken. Ebenfalls zu berücksichtigen: "Das Argument untragbar physischer oder psychischer Schmerzen sticht im Zeitalter elaborierter Palliativmedizin und von engagiertem Palliativcare nicht mehr wirklich."
Mitgefühl und klare Regeln
Zulehner weist in seinem Beitrag auch den innerkirchlichen Vorwurf zurück, dass der Einsatz für eine freiheitssichernde Gesetzgebung "Verrat an jesuanischem Mitgefühl" sei; dass man durch eine strikte Gesetzgebung Türen zu Leidenden und Verzweifelten zugeschlagen würden, die gerade in ihrer Lage eine Kirche mit offenen Türen brauche. Und er stützt in diesem Zusammenhang die Position von Caritas und Orden, die für ihre Einrichtungen äußerst strenge interne Regelungen erarbeitet haben, die den assistierten Suizid ausschließen. Orden und Caritas stünden Sterbenden bis zuletzt zur Seite. "Sie helfen Todgeweihten, palliativ gut versorgt und durch Begleitung von Menschen das Sterben als letzte Lebensaufgabe vollbringen zu können".
Der Einsatz für eine schützende gesetzliche Regelung sei kein Gegensatz zu einer "heilenden Begegnung und Beziehung", betont Zulehner. Der Einsatz für ein die Freiheit absicherndes Gesetz sei durchaus jesuanisch: "Er macht sich für eine Grundgabe des Menschen stark, nämlich seine letztlich unvertretbare Gewissensfreiheit. Dieser Einsatz für ein Gesetz, das dem Suizidwilligen und seiner Freiheit gerecht wird, ist um Gerechtigkeit besorgt."
Unbestritten sei zugleich, so Prof. Zulehner, dass kein Gesetz ausnahmslos alle Einzelfälle berücksichtigen kann. Das habe bereits in der griechischen Philosophie zum Diskurs über die Grundtugend der Epikie geführt, also des Handelns im Einzelfall "jenseits des Gesetzes", aber durchaus in dessen Grundsinn. Papst Franziskus habe beispielsweise in "Amoris laetitia" damit die Lehre von der "Unauflöslichkeit" der Ehe verbunden und dadurch die volle sakramentale Gemeinschaft der Kirche für jene geöffnet, deren Ehe faktisch zu Ende ging und die wieder geheiratet haben. Es sei nun völlig unbestritten, zeigt sich Zulehner überzeugt, "dass diese pastorale Logik auch in den besonders zugespitzten Fällen im Bereich Suizid zur Anwendung kommen kann und wird".
Diese Logik der Epikie könne aber nur sinnvoll zur Anwendung kommen, wenn es zugleich ein Gesetz gibt, das die Freiheit rechtlich sichert. "Erbarmen im konkreten Einzelfall ist somit kein Widerspruch gegen die Sorge um Gerechtigkeit, also eine menschengerechte Gesetzgebung", so Zulehner. Nachsatz: "Es ist also schlichtweg unzulässig, jenen, die um ein gutes Gesetz (auch mit strafrechtlichen Implikationen) kämpfen, unjesuanische Gesinnung vorzuwerfen. Es wäre vielmehr unjesuanisch, sich nicht um tragfähige Gesetze zu kümmern, welche den Menschen gerecht werden und damit Gerechtigkeit sichern."
Gesetzesbeschluss am Donnerstag
Der Nationalrat wird am Donnerstag das neue Sterbeverfügungsgesetz beschließen. Geregelt wird in dem neuen Gesetz, unter welchen Voraussetzungen es künftig zulässig sein soll, einer Person beim Suizid Hilfe zu leisten. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen bleibt weiterhin unangetastet. Parallel zur Neuregelung soll die Palliativ- und Hospizversorgung ausgebaut werden. Notwendig wurde das Gesetz, weil der Verfassungsgerichtshof (VfGH) vor rund einem Jahr das bisherige ausnahmslose Verbot der Hilfe zur Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt hat.
Vonseiten der Katholischen Kirche gibt es zahlreiche Kritikpunkte an dem Gesetz, und davon abgesehen wird der assistierte Suizid grundsätzlich abgelehnt. Die von katholischer Seite u.a. im Rahmen der Begutachtungsphase vorgebrachten Kritikpunkte fanden jedenfalls keinen Eingang in das neue "Sterbeverfügungsgesetz" bzw. die geplanten Änderungen im Strafgesetzbuch.
Quelle: kathpress