Suizidbeihilfe: Beanstandungen am Gesetz wurden kaum beachtet
Enttäuschung über fehlende Rücksichtnahme auf Eingaben zum sogenannten Sterbeverfügungsgesetz haben kirchliche Experten signalisiert. In der äußerst knapp bemessenen Begutachtungsfrist seien zwar 138 teils umfangreiche Stellungnahmen eingetroffen, doch sei das Justizministerium auf die meistgenannten Kritikpunkte kaum eingegangen, hat die Juristin Stephanie Merckens, Biopolitik-Expertin am Institut für Ehe und Familie (IEF) der Bischofskonferenz und Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, in einem Beitrag auf der Website ihrer Einrichtung bemängelt. Zu hinterfragen sei, "was die Politik hindert, auf Experten zu hören".
Bereits am 18. November - sechs Tage nach Ende der dreiwöchigen Begutachtungsfrist - war die Regierungsvorlage an den Justizausschuss zugewiesen worden, wurde jetzt bekannt. Der Ausschuss tagt planmäßig am 7. Dezember. Um den Zeitplan einzuhalten und das Gesetz noch vor dem 1. Jänner 2022 - mit diesem Datum hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) vor knapp einem Jahr die Freigabe von Suizidbeihilfe festgesetzt - in Kraft treten zu lassen, muss das Gesetz in der nächsten Plenarsitzung des Nationalrates vom 15. und 16. Dezember beschlossen werden. Zwar können Stellungnahmen auch jetzt wieder eingebracht werden, doch es sei "mehr als fraglich, ob es zu nennenswerten Änderungen kommt", so Merckens.
Besonders kritisierte die Expertin, dass die von verschiedensten Seiten geforderte Änderung des Gesetzesnamens nicht umgesetzt wurde. Das Dokument, mit dem künftig ein letales Präparat wie etwa Natrium-Pentobarbital in der Apotheke bezogen werden kann, soll laut Regierung weiterhin "Sterbeverfügung" heißen. Dies sei "verharmlosend" und "irreführend", hatten unter anderem die Gesellschaft für Suizidprävention, der Rechtsanwaltskammertag, Bioethikkommission, Dachverband Hospiz und Caritas beanstandet und Alternativen wie z.B. "Suiziderklärung" gefordert.
Ähnlich breit war zuvor die Forderung nach einer verpflichtenden Abklärung des freien Suizidentschlusses durch Experten mit psychiatrischer Fachqualifikation ausgefallen, die ebenfalls nicht beachtet wurde. Das Gesetz sieht diese Prüfung auf eine psychiatrische Erkrankung, deren Folge der Suizidwunsch sein könnte, nur bei Verdacht vor. Wie Merckens hervorhob, litten laut Suizidforschung jedoch bis zu 90 Prozent der an Suizid Verstorbenen zuvor an einer psychiatrischen Erkrankung, darüber hinaus seien Depressionen gerade im Alter oft schwer erkennbar. Die Pflicht zur psychiatrischen Abklärung liege somit eigentlich auf der Hand, hatte auch die Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) eingefordert. Erneut scheine aber Politik laut Merckens "auf jene, die tagtäglich mit der zu regelnden Materie zu tun haben, nicht hören zu wollen".
Auch ein von der Bischofskonferenz unisono mit Strafrechtlern wie Gloria Burda und Kurt Schmolla geäußertes Bedenken wurde missachtet: Suizidhilfe wird laut dem nun weitergewiesenen Gesetz auch ohne Verfügung möglich sein, zumal der oder die Assistierende immer dann straffrei bleibt, wenn es um eine volljährige, ärztlich aufgeklärte Person mit schwerer Krankheit geht. Alle Sicherheitsvorkehrungen würden somit "ad absurdum geführt", hatte hier die Bioethikerin Susanne Kummer vom IMABE-Institut gewarnt. Laut Merckens ist die unterschiedliche Regelung auch verfassungsrechtlich bedenklich: Das Strafrecht bilde die vom VfGH geforderte "Dauerhaftigkeit" nicht deutlich ab und regle fortan Suizide mit Natrium-Pentobarbital strenger als solche mit "herkömmlichen" Mitteln. Sogenannte "blutige Suizide" würden somit privilegiert.
Scharfe Kritik an der weitergeleiteten Regierungsvorlage und dem ungenügenden strafrechtlichen Schutz hatten bereits mittwochs die katholischen Laienorganisationen geäußert: Konkret ebenfalls am Gesetzesnamen sowie an der fehlenden Voraussetzung der Sterbeverfügung bei Krankheit, die ein "Einfallstor" für eine Handhabung des Gesetzes im Widerspruch zu dessen Grundintentionen und den VfGH-Vorgaben darstelle. Trotz detaillierten Schutzregeln zur Verhinderung von Missbräuchen werde das Schutzinstrumentarium selbst unterminiert. "Handelt es sich hier um ein legistisches Versehen, das im parlamentarischen Prozess rasch bereinigt werden könnte, oder um bewusste Täuschung?", stellten der Katholische Laienrat und die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände zur Frage. Beide forderten Auskunft über Ursachen und Beweggründe der Regierungsvorlage.
Quelle: kathpress