IMABE-Symposium: "Palliative Care darf kein Luxus sein"
"Palliative Care darf kein Luxus für wenige sein. Wir müssen daran arbeiten, dass sie tief im Selbstverständnis von Medizin und Pflege verankert wird": Das hat der Internist Johannes Bonelli im Vorfeld des interdisziplinären Symposiums "Palliative Care leben: Leiden. Lindern. Lernen" hervorgehoben. Die Jahrestagung des von Bonelli geleiteten Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) findet am Freitag mit 250 Teilnehmern aus verschiedensten Gesundheitsberufen als Webinar statt, wie aus einer Aussendung der kirchlichen Facheinrichtung vom Donnerstag hervorgeht.
Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, unterstreicht in seiner Grußbotschaft zu der Online-Tagung, wie wichtig der Ausbau der palliativen Versorgung angesichts der Sterbehilfe-Debatte in Österreich ist: "Ich bin froh, dass sich die Regierung dazu bekannt hatte, dafür mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen und hoffe, dass es auch umgesetzt wird." In Hinblick auf die gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid begrüßt Szekeres, dass dieser "restriktiv gehandhabt" und "niemand unter Druck gesetzt werden soll, weder die Patienten, aber auch nicht behandeln Ärzte und das Gesundheitspersonal".
Prominente Referenten der Tagung sind u.a. Raymond Voltz (Direktor des Zentrums für Palliativmedizin, Uniklinik Köln), der Theologe und Pflegewissenschaftler Andreas Heller (Karl Franzens Universität Graz), die Palliativmedizinerin und langjährige ärztliche Leiterin der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft, Elisabeth Medicus, der Leiter der Pflegeentwicklung der Liechtensteinischen Alters- und Krankenhilfe, Michael Rogner sowie der Ärztliche Direktor der Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder und designierte KAGES-Vorstandsvorsitzende, Gerhard Stark.
Zu späte Information
Auch Stark positioniert sich laut Aussendung klar in der Frage des assistierten Suizids. Dieser stehe "in krassem Widerspruch zu den Aufgaben eines Krankenhauses und kann keine Leistungsoption in einem Krankenhaus sein", so der Internist. Stattdessen müssten alle pflegerischen und medizinischen Anstrengungen darauf ausgerichtet sein, den Patienten lebensbejahende Auswege aus ihrer Krise zu ermöglichen.
Allerdings fühlen sich Ärzte und Pflegende oft überfordert im Umgang mit Todeswünschen, was negative Auswirkungen hat. Studien würden zeigen, dass sich "viele Patienten über eine zum Tode führende Diagnose nicht oder viel zu spät informiert fühlen", sagt der Kölner Palliativmediziner Voltz. Noch immer fürchteten Ärzte, dass Gespräche über den Tod Suizidgedanken auslösen könnten. Diesem Mythos widerspricht Voltz, denn das Gegenteil sei der Fall: "Patienten wünschen sich klare Informationen, sie wollen rechtzeitige Gespräche über Endlichkeit." Mögliche Todeswünsche sollten deshalb vom Gesundheitspersonal wahrgenommen und aktiv angesprochen werden, um damit einen Gesprächsraum für Sorgen und Ängste der Patienten zu ermöglichen.
Aufklären mit Hoffnungsperspektive
"Menschen müssen sich auf Situationen und Verlusterfahrungen einstellen können, die unweigerlich mit der Erfahrung einer Krankheit verbunden sind", bestätigt die Innsbrucker Palliativmedizinerin Medicus. Hoffnung sei ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität von Patienten, deren Ziel nicht mehr das Gesundwerden sein kann. "Ein Gesunder hofft auf ein langes Leben, Unabhängigkeit und einen aktiven Lebensstil. Bei einem Schwerkranken verändern sich die Lebensziele: Er hofft auf eine wirksame Symptomlinderung und eine gute Zukunft für seine Angehörigen. Die Verbundenheit mit anderen Menschen wird für ihn immer wichtiger", so Medicus. Eine wahrhaftige Aufklärung des Patienten schließe ein, zu erkennen, was für den Betroffenen wichtig ist und wie eine würdevolle Begleitung in der Krankheit aussehen kann.
Was wollen Palliativpatienten gestalten - und wo sich überlassen dürfen? Der Grazer Theologe und Pflegewissenschaftler Andreas Heller ortet in einer Gesellschaft, die auf Selbstbestimmung, -kontrolle und Selbstoptimierung setzt, einen Hang, unauflösliche Brüche und Ambivalenzen unseres Lebens durch "Planungs-Aktivität" unter Kontrolle bringen zu wollen. Doch weder Tod und Sterben noch Endlichkeit könnten völlig kontrolliert werden. Heller plädiert für eine "Klugheit des Unterlassens". Es sei wichtig, eine Haltung des Auf-Sich-Zukommen-Lassens, der Empfangsbereitschaft neu einzuüben. Sie beweise "Offenheit für Möglichkeiten, die sich ergeben, ohne dass man sie im Voraus nur geahnt hätte."
Pflegeheime: "Dokumentitis" vermeiden
2020 starben in Österreich laut Statistik Austria 91.599 Menschen. Etwa jeder fünfte Sterbende bräuchte eine spezialisierte Hospiz- oder Palliativbetreuung. Menschen in Pflegeheimen haben in der Regel einen hohen Bedarf an Palliative Care. Dazu gibt es mittlerweile viele kreative Projekte. "Wir beobachten aber zugleich, dass Palliative Care in der Langzeitpflege häufig am Einzelengagement von Mitarbeitern hängenbleibt", sagt der Liechtensteiner Pflegeforscher Michael Rogner. Er zeigt auf, dass Palliative Care den Rückhalt im Management braucht, um nachhaltig in Einrichtungen etabliert werden zu können - mit einem personenzentrierten Ansatz, der eine "Dokumentitis" vermeidet.
Weitere Themen des Symposiums befassen sich mit der Entscheidungsfindung im multiprofessionellen Team (Stefan Lorenzl, PMU Salzburg), den Möglichkeiten der palliativen Pflege (Gabriele Pachschwöll, Uniklinikum Krems) sowie der perinatalen Palliativversorgung (Brigitte Falli/Gudrun Simmer, St. Josef Krankenhaus Wien). Moderiert wird die Veranstaltung von Christian Lagger (Geschäftsführer der Krankenhaus der Elisabethinen Graz GmbH und neuer Vorsitzender der ARGE Ordensspitäler Österreich) und Susanne Kummer (Geschäftsführerin IMABE). Der Tagungsband "Palliative Care leben" erscheint im Frühjahr 2022 und kann über den Link https://www.imabe.org/publikationen/imago-hominis-bestellen bestellt werden. (www.imabe.org)
Quelle: kathpress