Studie: Telefonseelsorge hat in Pandemie Hochkonjunktur
Wenn die Infektionszahlen steigen, haben Telefonseelsorge-Einrichtungen Hochkonjunktur. Das zeigt eine Studie, für die über acht Millionen Anrufe rund um den Globus ausgewertet wurden und über die die ORF-Wissenschaftsredaktion berichtete (science.orf.at). Der Trend in den Daten zeigt klar, dass die Telefonseelsorge in Zeiten mit hohem Infektionsgeschehen öfter angerufen werden. In der ersten Pandemiewelle 2020 etwa gingen quer durch alle 19 untersuchten Ländern um bis zu 35 Prozent mehr Anrufe ein als vor der Pandemie. In Österreich waren das 250 statt rund 200 Anrufe pro Tag. Für die zweite Welle stellten die Forscher ähnliche Werte fest. Nur in den Zeiten, in denen das Infektionsgeschehen niedrig war, sanken auch die Anrufe wieder fast auf das Niveau vor der Pandemie.
"Die Pandemie zeigt, wie wichtig diese Hotlines sind", so Studien-Co-Autor Valentin Klotzbücher von der Universität Freiburg. "Wir waren auf der Suche nach direkten Daten zur psychischen Gesundheit und sind so auf die Schweizer Telefonseelsorge aufmerksam geworden", so der Statistiker und Ökonom. Die Daten waren für das Team so interessant, dass sie weltweit Telefonseelsorge-Hotlines um anonymisierte Messwerte baten, um diese auswerten zu können - darunter auch die der Wiener Telefonseelsorge.
Neben der Anzahl der Anrufe sahen sich die Wissenschaftler auch die besprochenen Themen an. Auffällig hier: Die Motive, weshalb die Anrufenden zum Hörer griffen, änderten sich. Angst, Einsamkeit und physische Gesundheit wurden während der Pandemie öfter angesprochen als davor. Beziehungsprobleme und Gewalt hingegen wurden weniger oft thematisiert.
Suizidgedanken nahmen minimal ab
Insgesamt waren die Veränderungen aber nur gering, was die Forscherinnen und Forscher überraschte. Das Thema Angst verzeichnete mit einem Plus von zwei Prozent im Vergleich zu Vor-Corona bereits die höchste Zunahme. Auch alle anderen Änderungen bewegten sich im einstelligen Prozentbereich. Geäußerte Suizidgedanken nahmen in den Hochphasen der Pandemie sogar eher minimal ab als zu - zumindest was die Auswertung der Telefonseelsorge-Einrichtungen betrifft.
Interessant ist laut Forschern aber der Zeitpunkt, an dem das Thema Suizid relativ gesehen doch häufiger in den Anrufen genannt wurde: Das sei genau dann der Fall gewesen, wenn die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie strenger wurden. Abgenommen hätten diese dann wieder, wenn Regierungen finanzielle Hilfen zusagten.
Klotzbücher und seine Kollegen würden sich jedenfalls wünschen, dass die Politik künftig mehr mit den Daten aus der Telefonseelsorge arbeitet. Auch wenn diese nicht repräsentativ seien, sind sie doch schnell und einfach verfügbar. "Man kann ja genau sehen, wie viele Leute gestern zu welchem Thema angerufen haben", so Klotzbücher. Dadurch hätte man eine Art Echtzeit-Stimmungsbarometer.
Quelle: kathpress