Assistierter Suizid: Vielfache Kritik an Gesetzesentwurf
Mit Freitag, 12. November, endet die Begutachtungsfrist zum neuen Sterbeverfügungsgesetz. Bis Donnerstag sind dazu bereits zahlreiche Stellungnahmen eingetroffen, darunter auch mehrere aus dem kirchlichen Bereich. Dabei wurden auch zahlreiche Mängel des Gesetzes angeführt. Ein Hauptkritikpunkt ist, dass für die Straflosigkeit der Beihilfe die Errichtung einer Sterbeverfügung nicht erforderlich ist. Als zu unklar wird weiters auch die Definition einer "schweren" Krankheit bemängelt.
Mit der neuen Gesetzeslage in Österreich werde nicht nur das bisherige Selbstverständnis von Ärzten, Apothekern und Pflegenden infrage gestellt, sondern es sei auch zu befürchten, dass eine tendenziell beobachtbare gesamtgesellschaftliche Werteverschiebung beschleunigt wird. - In Richtung einer Entsolidarisierung mit jenen, die alt, schwach und krank sind oder nicht den Kriterien ökonomischer "Leistungserbringer" entsprechen, warnte etwa das Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in seiner Stellungnahme.
IMABE lehnt daher aus ethischer Perspektive grundsätzlich ab, dass der Staat Dritte dazu legitimiert, Beihilfe zur Selbsttötung (direkt oder indirekt) zu leisten. Davon abgesehen weist die kirchliche Fachstelle auf gravierende Mängel im Entwurf hin. Kritisiert wird unter anderem, dass laut Entwurf keine verfassungsrechtliche Absicherung der Tötung auf Verlangen vorgesehen ist. Diese sollte dringend nachgeholt werden.
Positiv vermerkt das kirchliche Institut, dass die Sicherstellung der Gewissensfreiheit für alle möglichen involvierten Personen gilt. Niemand könne gezwungen werden, eine ärztliche Aufklärung durchzuführen oder bei der Errichtung einer Suiziderklärung mitzuwirken. Dies gelte offensichtlich nicht nur für Ärzte und das Pflegepersonal, sondern auch für Apotheker, Rechtsanwälte und Notare.
Im Gesetzestext fehle aber eine Erklärung, dass auch die Träger von Krankenhäusern oder Pflegeheimen berechtigt sind, Suizidbeihilfe im Sinne des Gesetzes auszuschließen. Hier handle es sich um ein gravierendes Versäumnis, so IMABE: "Es ist jedenfalls im Gesetz sicherzustellen, dass Institutionen nicht gezwungen werden können, in ihren Häusern Suizidbeihilfe durchzuführen bzw. durchführen zu lassen und dies auch zu keinen Benachteiligungen führt." Ebenso müsse ausdrücklich im Gesetz festgehalten werden, dass niemand, weder die behandelnden Mediziner noch Pflegekräfte, Apotheker, Notare, Rechtsanwälte oder sonstige Personen eine Verpflichtung haben, auf die Möglichkeit einer Suiziderklärung hinzuweisen.
Zu unklar ist für die kirchliche Einrichtung auch die Zielgruppe des Gesetzes. Es seien auch Personen mit einer nicht lebensbedrohlichen Krankheit inkludiert bzw. es sei unklar, was eine "schwere" Erkrankung sei. IMABE befürchtet, dass hier einer Alters- und Behindertendiskriminierung Vorschub geleistet werde, die inakzeptabel sei und die Intention des Gesetzes, vulnerable Gruppen zu schützen, konterkariere. Wo ein assistierter Suizid ohne Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung erlaubt ist, zeichne sich ab, wer die gefährdetste Gruppe sei: Ältere und Hochaltrige. Eine Beschränkung auf die terminale Phase wäre deshalb ein wichtiger Schutz vor Missbrauch.
IMABE spricht sich auch dafür aus, die Aufklärung über Alternativen zum Suizid von der Aufklärung über das Suizidpräparat zu trennen. Der Entwurf sieht vor, dass die Aufklärung von zwei ärztlichen Personen (eine davon mit palliativmedizinischer Qualifikation) erfolgen soll. Die Aufklärung soll sowohl Behandlungsalternativen als auch die Information über die Dosierung und Einnahme des Suizid-Präparats beinhalten. Gerade Palliativmediziner verstünden sich jedoch nicht als Suizidhelfer, sondern als Ärzte, "die dem Patienten konkrete Angebote zur Linderung seines Zustandes machen, die Ängste nehmen, Raum geben, um Todeswünsche und die dahinterliegenden Motive anzusprechen, mit dem Ziel, dem Betroffenen einen Ausweg aufzuzeigen und ihn/sie vom Suizid abzubringen". In die Rolle eines "Erfüllungsgehilfen" gedrängt zu werden, sei gerade für Palliativmediziner eine Zumutung, so IMABE. Zudem brauche es einen Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizbetreuung.
Dass nur bei "Hinweisen" auf eine psychische Erkrankung ein Psychiater beigezogen werden soll, ist für IMABE nicht ausreichend. Angesichts der Tatsache, dass schon jetzt Allgemeinmediziner bzw. nicht fachspezifische Ärzte mit einer derartigen Beurteilung häufig überfordert sind, müssten gerade bei suizidwilligen Personen Ärzte mit einer psychiatrischen Fachexpertise im Rahmen der Aufklärung zur Errichtung von Sterbeverfügungen von Anfang an verpflichtend miteinbezogen werden.
Weiters müsste auch die im Gesetz vorgesehenen Fristen verlängert werden. Eine Errichtungsfrist der Suiziderklärung zwölf Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung sei jedenfalls zu kurz. Meist könnten innerhalb dieser Zeit Alternativangebote nicht rechtzeitig in Anspruch genommen werden. Auch im Fall psychiatrischer Erkrankungen brauche es mehr Zeit, bis Behandlungen wirken. Daher sollte die Frist auf mindestens sechs Monate erhöht werden, so IMABE.
Die Fachstelle fordert weiters auch, dass assistierter Suizid ohne Sterbeverfügung strafbar sein muss. In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass als Voraussetzung für einen assistierten Suizid keine "Sterbeverfügung" zwingend errichtet wird, sondern lediglich eine ärztliche Aufklärung erfolgen muss, kritisiert IMABE. Damit würde sich das Gesetz als zahnlos erweisen und seine ursprüngliche Intention des Schutzes vulnerabler Personengruppen untergraben. In jedem Fall müsse die Straflosigkeit des assistierten Suizids an das Vorliegen einer Suiziderklärung geknüpft sein.
Kritik von Aktion Leben
In die gleiche Kerbe wie IMABE schlägt auch die "Aktion Leben Österreich" in einer ausführlichen Stellungnahme, die den fehlenden Konnex von Sterbeverfügung und Straflosigkeit als einen Hauptkritikpunkt nennt. Ohne Sterbeverfügung als Voraussetzung für die Straflosigkeit bestehe eine unannehmbare Lücke des Sicherungsinstruments gegen Missbrauch, da der freie Wille unzureichend dokumentiert sei. Ohne Sterbeverfügung als Voraussetzung könne der sterbewilligen Person auch unmittelbar nach Ausfolgung der ärztlichen Bestätigung über die Aufklärung straflos Beihilfe zur Selbsttötung geleistet werden, warnt die Aktion Leben.
Wie auch IMABE kritisiert die "Aktion Leben" die im Entwurf unpräzise Definition von Krankheiten und Leiden. So falle womöglich schon Diabetes darunter, da auch hier die Lebensführung beeinträchtigt sei.
Der "Aktion Leben" ist es auch zu wenig, dass laut Entwurf beim ärztlichen Aufklärungsgespräch nur den Hinweis auf psychosoziale Beratung genügt. Um sich ausreichend über Alternativen zum Suizid informieren zu können, brauche es aber spezialisierte, kostenlose und von der Selbsttötung unabhängige Beratung, die verpflichtend in Anspruch genommen werden muss.
Da eine psychosoziale Beratung derzeit nicht verpflichtend vorgesehen ist, könne zudem nicht sichergestellt werden, dass der sterbewillige Mensch ausreichend über Alternativen informiert wurde. Die "Aktion Leben" hält fest: "Vor allem, wenn es um die Psyche geht, noch nicht erkannte, aufziehende Demenz, noch nicht erkannte und behandelte Depressionen, sind drei Monate Wartefrist zu wenig um sicherzustellen, dass die Entscheidung frei und selbstbestimmt erfolgte."
Auch die Caritas Socialis, die zahlreiche Einrichtungen für betagte, kranke und sterbende Menschen führt, nennt einige Mängel. Sie hält u.a. den Titel "Sterbeverfügungsgesetz" für ungünstig und schlägt den Namen "Suizidverfügung" vor. Gefordert wird die verpflichtende Beiziehung eines psychiatrischen Facharztes oder einer klinischen Psychologin im Rahmen der Beratung und Feststellung des freien Willens. Zudem müsste es in der Sterbeverfügung einwandfreie Formulierungen der Regeln für die Widerrufbarkeit geben.
Quelle: kathpress