"Theologie der Befreiung": Nach 50 Jahren bleibend aktuell
Die christliche Frohbotschaft ist unvereinbar mit einer ungerechten und entfremdeten Gesellschaft; zwischen der gläubig erhofften Erlösung und der erkämpften Befreiung des Menschen besteht ein innerer Zusammenhang: An diese grundlegenden Thesen des Weg weisenden Buches "Theologie der Befreiung" ("Teologia de la liberacion") des peruanischen Theologen Gustavo Gutierrez im Dezember 1971 hat der Salzburger Theologe Franz Gmainer-Pranzl erinnert. Die Wochenzeitung "Die Furche" widmet dem 50-Jahr-Jubiläum des einflussreichen Buches, das namensgebend für eine breite theologische Strömung wurde, in ihrer aktuellen Ausgabe (11.11.) einen Schwerpunkt, in dem die bleibende Aktualität der Befreiungstheologie betont wird.
Auch wenn der heutigen Theologiestudierenden-Generation der Name Gutierrez kaum mehr geläufig sei, wurde dessen Publikation nach den Worten Gmainer-Pranzls damals "wie ein Paukenschlag wahrgenommen". Verfasst sei es im Umfeld der lateinamerikanischen Bischofsversammlung von Medellin (Kolumbien), und zwar aus einer Perspektive, die die "Unterentwicklung" der Länder des Globalen Südens als Konsequenz der Ausbeutung durch die reichen Länder des Nordens ansah. Gutierrez' Überzeugung: Heils- und Weltgeschichte sind ebenso wenig zu trennen wie religiöse Praxis und politisches Handeln.
Wie der Leiter des "Zentrums Theologie Interkulturell und Studium der Religionen" an der Uni Salzburg weiter darlegte, entspringt das Engagement für gesellschaftliche Befreiung für Gutierrez und weitere Befreiungstheologen "nicht der Anpassung an bestimmte politische Programme, sondern dem innersten Kern christlicher Glaubenserfahrung". Und dieses Engagement bedeute konkret: Protest gegen politische Repression, Solidarität bzw. Option für die Armen, Einsatz für Bildung, Gesundheit, Demokratie, verbesserte Infrastruktur usw.
Jenseits "unverbindlicher Privatfrömmigkeit"
Die durchaus unterschiedlichen Konzepte der Theologie der Befreiung im Anschluss an Gutierrez seien sich darin einig, "dass sich das Wachstum des Reiches Gottes in geschichtlich-gesellschaftlichen Initiativen zur Befreiung des Menschen vollzieht, ohne damit identisch zu sein", erklärte Gmainer-Pranzl. "Hätten soziale Befreiung und religiöse Hoffnung nicht miteinander zu tun, würde der christliche Glaube zu unverbindlicher Privatfrömmigkeit degenerieren." Aber ebenso gelte: "Würden konkrete politische Befreiungsprojekte mit dem Reich Gottes gleichgesetzt, käme es zu einer Vermischung von Religion und Politik und einem ideologischen Totalitätsanspruch, der die biblisch bezeugte Freiheit des Glaubens aufgegeben hätte."
Gutierrez' Buch sei somit ein "Stachel" sowohl für eine unmenschliche Politik als auch eine selbstzufriedene Theologie, befand der Salzburger Theologe. Gmainer-Pranzl verwies auf eine 1988 veröffentlichte Selbstkritik von Gutierrez an bisher vernachlässigten Aspekten seines Denkens: Die Theologie der Befreiung müsse sich vor allem drei Themen stärker zuwenden: der Rolle der Kultur, der Situation ethnischer Minderheiten sowie der Rolle der Frau.
Stimmen der Unterdrückten hören
Auf weithin vergessene Beiträge von feministischen Befreiungstheologinnen macht die Religionswissenschaftlerin Ursula Baatz in ihrem Beitrag für den "Furche"-Schwerpunkt aufmerksam. Nur wenige der in den 1970er-Jahren engagierten Frauen hätten eine Stelle im Theologiebetrieb bekommen. "Eine, die nicht vergessen werden soll", ist laut Baatz die Ordensfrau Dorothy Stang, eine enge Mitarbeiterin des austro-brasilianischen Bischofs Erwin Kräutler. Sie setzte sich - zum Ärger der Großgrundbesitzer - für Landlose und Kleinbauern und gegen die Zerstörung des Amazonien-Urwalds ein und wurde 2005 von gedungenen Mördern erschossen. Ein Ende des Kampfes von Dorothy Stang "ist nicht in Sicht", schloss Baatz angesichts aktueller Bedrohungen.
Der deutsche, früher in Lateinamerika tätige Theologe Stefan Silber schließlich beschreibt in seinem Artikel Aspekte von "Befreiung durch Entkolonisierung". Auch in der Theologie - zumal der europäischen - gelte es Strömungen aufzugreifen, die "die Erblasten des Kolonialismus analysieren, bloßstellen und zu transformieren suchen". Postkoloniale Theologien könnten vieles als selbstverständlich Geltende infrage stellen, etwa "ein Gottesbild, das von patriarchaler Macht geprägt ist, oder die institutionelle Struktur der Kirche mit ihrer sakralen Legitimation von Hierarchie, Unterordnung und Machtausübung". Durch solche Kritik ist es laut Silber möglich, "aus dem Korsett einer kolonialismuskonformen Theologie auszubrechen und sich neu zur Botschaft des Evangeliums zu bekehren". Der europäischen Theologie stünde "Bescheidenheit und Lernbereitschaft" gut an.
Quelle: kathpress