"Mechaye Hametim": Christlich-jüdisches Gedenken an Novemberpogrome
In Wien wird dieser Tage wieder verstärkt an die jüdischen Wurzeln des Christentums und an die Opfer früherer Judenverfolgungen in Österreich erinnert. Die Veranstaltungsreihe "Mechaye Hametim" - hebräisch für "Der die Toten auferweckt" - bietet rund um den 83. Jahrestag der Pogrome vom 9. November 1938 ein vielseitiges Programm mit kulturellen, interreligiösen und historischen Akzenten. Im Zentrum steht ein ökumenischer Gottesdienst in der Wiener Ruprechtskirche am 9. November um 19 Uhr mit Gedenkworten der katholischen Theologin Regina Polak und anschließendem Schweigegang zum Mahnmal auf dem Judenplatz. Veranstalter ist die Gemeinde der Ruprechtskirche gemeinsam mit einer Reihe von christlichen und jüdischen Organisationen.
In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Furors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Die Nationalsozialisten gaben diesem Tag den euphemistischen Ausdruck "Reichskristallnacht". Mit dem Novemberpogrom radikalisierten sie die Vertreibung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung.
Die Wiener Ruprechtskirche begründet ihr Engagement in der Aufarbeitung und im Dialog unter anderem durch ihre unmittelbare Nähe zur Jüdischen Synagoge und zum Morzinplatz, wo das Hauptquartier der Gestapo stand. Der Gemeinde sei es ein Anliegen, "das Gedenken an die Juden und alle übrigen Opfer wachzuhalten, die in der Zeit des Nationalsozialismus erniedrigt und ermordet wurden" und durch das alljährliche Erinnern "für aktuelle Ausgrenzungen sensibel werden". Auch die Mitschuld der christlichen Kirchen an der Judenverfolgung wird thematisiert - u.a. bei einem Gottesdienst am 6. November (17 Uhr).
Zahlreiche Veranstaltungen
Zahlreiche weitere Veranstaltungen zu Mechaye Hametim fanden bereits statt, einige stehen noch an. So beispielsweise am 5. November ein Konzert in der Evangelischen Pauluskirche (1030, Sebastianplatz 4). Das Konzert steht unter dem Motto "Niemals vergessen!" (Infos: www.pauluskirche.at)
Um den Münchner Uni-Professor Kurt Huber (1893-1943), Mitglied der NS-Widerstandsgruppe "Weiße Rose", dreht sich am 10. November ein Vortrag bei der "Akademie am Dom". "Was Huber zum Widerstand zwang, kann heute Wege zu Verständnis und Engagement für die Demokratie aufzeigen", heißt es seitens des Sohnes des Widerstandskämpfers, Wolfgang Huber, der selbst referiert. (Infos: www.theologischekurse.at).
Im Rahmen eines Film-Montags zeigt das Votivkino am 15. November den 2020 erschienenen Film "Liebe war es nie" über die verbotene Beziehung einer jüdischen Insassin des KZ Auschwitz zu einem österreichischen SS-Offizier, die sich 30 Jahre später vor Gericht wieder begegnen. Beim anschließendem Gespräch ist Filmproduzent Kurt Langbein zugegen. (Infos: www.votivkino.at)
Das 65-Jahr-Jubiläum des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit wurde am Nationalfeiertag mit zahlreichen Veranstaltungen begangen, die auch alle im Rahmen von Mechaye Hametim stattfanden. Ein Angebot wird am Samstag, 6. November, wiederholt: der "Gedenk-Achtelmarathon" zu symbolischen Orten der Judenverfolgung in Wien. Von der Pauluskirche am Sebastianplatz aus führt der Weg über die Lutherische Stadtkirche in der Inneren Stadt und wieder zurück in den dritten Bezirk, zur ehemaligen Synagoge in der Unteren Viaduktgasse. Der Marathon findet seinen Abschluss bei der Gedenktafel an die Wiener Gesera vom 12. Mai 1421. Die Gedenktafel befindet sich in der Kegelgasse im Dritten Bezirk. (Infos: www.ash-forum.at)
Die Wiener Gesera 1420/21 gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte Österreichs. Am 23. Mai 1420 gab Herzog Albrecht V. den Befehl, alle Juden im Herzogtum Österreich gefangenzunehmen. Das war der Startschuss für die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung von Wien und Niederösterreich zwischen Mai 1420 und dem 12. März 1421. Es kam zur völligen Auslöschung aller jüdischen Gemeinden und allen jüdischen Lebens im damaligen Österreich, durch Zwangstaufen, Vertreibungen, Plünderungen und Mord. Die "Wiener Gesera" fand am 12. März 1421 mit der Verbrennung der etwa 210 überlebenden Wiener Juden auf der Erdberger Gänseweide - damals noch vor den Toren und Mauern Wiens - ihren traurigen Höhepunkt.
Quelle: kathpress