Ethikerin fordert Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung
Alternativen zum assistierten Suizid wie Palliativmedizin und Hospizversorgung müssten nicht nur dringend ausgebaut werden, es brauche auch einen Rechtsanspruch darauf. Das fordert die Ethikerin und Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE), Susanne Kummer, in einem Gastkommentar im "Kurier" (Samstag-Ausgabe).
Kummer räumt ein, dass sich der Gesetzgeber mit dem Entwurf zum "Sterbeverfügungsgesetz" redlich Mühe gegeben habe, "diesen vom Verfassungsgerichtshof bewirkten Dammbruch" in rechtliche Bahnen zu lenken und Sicherheitsmaßnahmen einzuziehen, um Missbrauch zu verhindern. Dabei würden sich durchaus positive Ansätze erkennen lassen: "Terminale und schwerkranke Menschen in ihren Suizidängsten müssen über Alternativen aufgeklärt werden - von einem Palliativmediziner und einem zweiten Arzt, in der Regel wohl der Hausarzt".
Ein mehrstufiger Prozess und Wartefristen seien vorgesehen. Die Entscheidungsfähigkeit müsse geprüft werden. Mithilfe beim Töten sei kein ärztlicher Auftrag, kein Arzt oder Apotheker dürfe gezwungen werden, bei Selbsttötungen mitzuwirken.
Doch, so Kummer: "Was nützen die besten Hinweise über Alternativen, wenn man gleichzeitig keinen Zugang dazu hat?" Autonomie setze Wahlfreiheit voraus. Es brauche daher einen Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung. Dass just jene beiden Ärzte, die über Auswege und Alternativen informieren sollen, zugleich aufzuklären sollen, wie das tödliche Gift und in welcher Dosis es einzunehmen ist, sei zudem unzumutbar. Hier braucht es eine strikte Trennung, fordert die Ethikerin.
Gefährdete Alte
Wo Beihilfe zum Suizid erlaubt ist, zeichne sich klar ab, wer die gefährdetste Gruppe sei, so Kummer: Ältere und Hochaltrige. In der Schweiz würden bereits 88,5 Prozent aller assistierten Suizide von Senioren (65+) begangen. Eine Beschränkung auf die terminale Phase wäre deshalb ein wichtiger Schutz vor Missbrauch, so die Ethikerin. Derzeit könnten auch Personen mit einer schweren, dauerhaften, aber nicht lebensbedrohlichen Krankheit eine Sterbeverfügung errichten. Das treffe viele ältere Menschen. "Sie sind chronisch beeinträchtigt, sehen und hören schlecht, leiden an Rheuma, Altersdiabetes und können vielleicht nicht mehr alleine die Wohnung verlassen. Sie fühlen sich vereinsamt, als Last und als Kostenfaktor. Vielleicht steckt auch eine unentdeckte Altersdepression dahinter."
Sei dieses schwere anhaltende Leiden aber schon hinreichend für einen begleiteten Alterssuizid, stellt die Ethikerin zur Frage. Und: "Verliert die Gesellschaft die Geduld mit den Alten? Und warum sollten gerade Haus- oder Palliativärzte besonders kompetent sein, den freien Willen festzustellen, zeigt sich Kummer skeptisch. Im Übrigen würden sich 90 Prozent aller Suizide auf eine psychiatrische Erkrankung zurückführen lassen, die bei rechtzeitiger Behandlung verhindert hätten werden können.
Kummers Fazit: "Sterbehilfe-Vereine fordern, dass die Gesellschaft ein entspannteres Verhältnis zum Tod haben sollte. Dem ist viel abzugewinnen. Nur, bleiben wir präzise: Ein entspannteres Verhältnis zum Tod heißt nicht: ein entspannteres Verhältnis zum Töten. Das wäre nämlich verhängnisvoll."
Die Begutachtungsfrist für das vor einer Woche von der Regierung vorgelegte "Sterbeverfügungsgesetz" endet am 12. November. Das Gesetz soll mit 1. Jänner 2022 in Kraft treten.
Quelle: Kathpress