"Mechaye Hametim": Christlich-jüdisches Gedenken an Novemberpogrome
In Wien wird in den kommenden Wochen wieder verstärkt an die jüdischen Wurzeln des Christentums und an die Opfer früherer Judenverfolgungen in Österreich erinnert. Die Veranstaltungsreihe "Mechaye Hametim" - hebräisch für "Der die Toten auferweckt" - bietet rund um den 83. Jahrestag der Pogrome vom 9. November 1938 ein vielseitiges Programm mit kulturellen, interreligiösen und historischen Akzenten. Im Zentrum steht ein ökumenischer Gottesdienst in der Wiener Ruprechtskirche am 9. November um 19 Uhr mit Gedenkworten der katholischen Theologin Regina Polak und anschließendem Schweigegang zum Mahnmal auf dem Judenplatz.
Veranstalter ist die Wiener Ruprechtskirche gemeinsam mit einer Reihe von christlichen und jüdischen Organisationen. Dazu gehört der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der am Nationalfeiertag (26. Oktober) im Rahmen von "Mechaye Hametim" an seine Gründung vor 65 Jahren durch Kardinal Franz König erinnert. Der Ausschuss hat nach der Shoa wesentlich für ein neues Verhältnis zwischen Judentum und Christentum in Österreich beigetragen. Zum Jubiläum finden ein Workshop in der Evangelischen Pauluskirche über die Aufarbeitung antijüdischer Geschichte, ein "Gedenk-Achtelmarathon" zu symbolischen Orten der Judenverfolgung und ein öffentlicher Feierabend statt. (Infos: www.christenundjuden.org)
Ausgangspunkt der Exkursion zu den Symbolorten der Judenverfolgung, die am 6. November wiederholt wird, ist der alte jüdische Friedhof am Wiener Zentralfriedhof. Nächste Station ist der Stadttempel in der Seitenstettengasse, welcher die Hauptsynagoge von Wien darstellt. Nach einem Essen in einem koscheren Restaurant wird das von der britischen Künstlerin Rachel Whiteread entworfene Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoa aufgesucht. Abschluss ist das Jüdische Museum Wien im Misrachi-Haus, in dem das soziale, kulturelle und religiöse Leben der Wiener Juden im Mittelalter dokumentiert ist. (Infos & Anmeldung: www.kav-wien.at)
Kurt Hubers Sohn berichtet
Um den Münchner Uni-Professor Kurt Huber (1893-1943), Mitglied der NS-Widerstandsgruppe "Weiße Rose", dreht sich am 10. November ein Vortrag bei der "Akademie am Dom". "Was Huber zum Widerstand zwang, kann heute Wege zu Verständnis und Engagement für die Demokratie aufzeigen", heißt es seitens des Sohnes des Widerstandskämpfers, Wolfgang Huber, der selbst referiert. (Infos: www.theologischekurse.at). Im Rahmen eines Filmmontags zeigt das Votivkino am 15. November den 2020 erschienenen Film "Liebe war es nie" über die verbotene Beziehung einer jüdischen Insassin des KZ Auschwitz zu einem österreichischen SS-Offizier, die sich 30 Jahre später vor Gericht wieder begegnen. Beim anschließendem Gespräch ist Filmproduzent Kurt Langbein zugegen. (Infos: www.votivkino.at)
Gestartet ist die "Bedenkreihe" bereits am 4. Oktober mit einem Vortrag über Leonard Bernsteins Kaddisch-Vertonung. Für Montag, 18. Oktober (19 Uhr) stand ein Vortrag im Wiener Otto-Mauer-Zentrum über "Musik und Totalitarismus im 20. Jahrhundert" von Jascha Nemtsov auf dem Programm. Der Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Weimarer Franz-List-Hochschule ist auch Pianist. Seine Darbietung wiederentdeckter Werke verfolgter Komponisten des 20. Jahrhunderts - darunter Juliusz Wolfsohn, Joachim Stutschewsky, Bernhard Sekles und Viktor Ullmann - sind für Dienstag, 19. Oktober im Curhaus (Stefanisaal, 19 Uhr, Anmeldung: www.kav-wien.at) angesetzt. Ein weiteres Konzert unter dem Titel "Niemals vergessen!" mit Sonja Equiluz (Klarinette), Daniel Johannsen (Gesang) und Yasuko Yamamoto (Orgel, Klavier) ist am 5. November in der Pauluskirche.
Alljährliches Erinnern
In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Furors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Die Nationalsozialisten gaben diesem Tag den euphemistischen Ausdruck "Reichskristallnacht". Mit dem Novemberpogrom radikalisierten sie die Vertreibung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung.
Die Wiener Ruprechtskirche begründet ihr Engagement in der Aufarbeitung und im Dialog unter anderem durch ihre unmittelbare Nähe zur Jüdischen Synagoge und zum Morzinplatz, wo das Hauptquartier der Gestapo stand. Der Gemeinde sei es ein Anliegen, "das Gedenken an die Juden und alle übrigen Opfer wachzuhalten, die in der Zeit des Nationalsozialismus erniedrigt und ermordet wurden" und durch das alljährliche Erinnern "für aktuelle Ausgrenzungen sensibel werden". Auch die Mitschuld der christlichen Kirchen an der Judenverfolgung wird thematisiert - u.a. bei einem Gottesdienst am 6. November (17 Uhr). Im Vorjahr wurde die älteste erhaltene Kirche Wiens beim Schwedenplatz zu einem Schauplatz des Terroranschlags vom Allerseelentag. Statt der Bedenkreihe "Mechaye Hametim" fand damals allerdings wegen der Corona-Pandemie nur ein "stilles Gedenken" statt. (www.ruprechtskirche.at)
Quelle: kathpress