Schoah: Schau zeigt Rolle Wiens als Experimentierfeld des NS-Terrors
Eine Freiluft-Ausstellung am Wiener Heldenplatz thematisiert ab sofort die unrühmliche Vorreiterrolle Wiens hinsichtlich Antisemitismus und als "Versuchslabor" für Deportationen und die Organisation der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im ganzen NS-Staat. Die Schau "Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah" des "Hauses der Geschichte Österreich" (hdgö) wurde am Freitagvormittag eröffnet und wird bis 10. Dezember frei zugänglich auf dem Heldenplatz zu sehen sein.
Die Ausstellung, die insgesamt acht Stationen umfasst, zeigt auf, wie stark die Repressionen gegen die jüdische Wiener Bevölkerung als "Motor" der Radikalisierung des Antisemitismus im ganzen NS-Staat dienten. Zum 80. Jahrestag der ersten reichsweiten Deportationstransporte im Oktober 1941 zeigt die Schau auf dem zentralen Platz der Republik - kuratiert von Michaela Raggam-Blesch, Heidemarie Uhl und Isolde Vogel - das System der Entrechtung, Enteignung, Vertreibung und Vernichtung der österreichischen Jüdinnen und Juden auf.
So errichtete Adolf Eichmann 1938 in Wien die erste sogenannte "Zentralstelle für jüdische Auswanderung". Sie sollte als "Vorbild" für weitere solcher Stellen im ganzen Reich dienen - in Berlin, Prag und Amsterdam wurden entsprechende "Zentralstellen" nach Wiener Vorbild eingerichtet. Auch bei den eigentlichen Todestransporten in die Ghettos, Vernichtungslager und Mordstätten war Wien "Vorreiter" und wurde zum "Vorbild" für die Deportationen aus dem gesamten Deutschen Reich. Nach fünf ersten Transporten aus Wien im Februar und März 1941 begannen genau heute vor 80 Jahren, am 15. Oktober 1941, die reichsweiten Deportationen.
Erzählt werden in der Ausstellung aber auch Geschichten von jüdischer Selbsthilfe, Menschlichkeit und dem mutigen Widerstand Einzelner. Diese Geschichten seien wichtig, um in der heutigen Zeit zu Zivilcourage zu ermutigen, betonte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, in seiner Rede bei der Ausstellungseröffnung. Er erinnerte daran, dass die Zahl der antisemitischen Vorfälle in ganz Europa zuletzt wieder stark zugenommen haben: "Es ist höchste Zeit, diese gefährliche Dynamik zu durchbrechen."
Bundesministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) betonte die historische Verantwortung Österreichs beim Gedenken. "Aus dieser Verantwortung ergibt sich unsere Pflicht als Republik, uns die unfassbaren Taten des NS-Unrechtsregimes immer wieder vor Augen zu führen", so Edtstadler. "Wir alle sind gefordert, die Erinnerung hochzuhalten und gemeinsam aus vollster Überzeugung dafür zu sorgen, dass so etwas sich niemals wiederholt."
"Das Thema Antisemitismus ist leider aktueller, denn je", so die Ministerin. Die Pandemie bilde einen Nährboden für antisemitische Verschwörungstheorien, die sich insbesondere im Internet rasch verbreiten.
"Antisemitismus - und auch Rassismus - gehören leider noch immer nicht der Vergangenheit an", betonte auch hdgö-Direktorin Monika Sommer. "Wir wollen gerade hier, auf dem Heldenplatz, mit dieser Ausstellung und den Vermittlungsangeboten im Haus der Geschichte Österreich ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und Bildungsmaßnahmen niederschwellig zugänglich machen", so Sommer.
Die Freiluft-Ausstellung ist von 15. Oktober bis 10. Dezember 2021 auf dem Heldenplatz neben dem Äußeren Burgtor kostenlos zu sehen. Realisiert wurde das Ausstellungsprojekt vom Haus der Geschichte in Kooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und dem Verein zur Förderung kulturwissenschaftlicher Forschungen.
Am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, organisiert das hdgö zudem den ersten "Aktionstag gegen Antisemitismus". Für Interessierte werden um 9 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr Kurzführungen mit den Kuratorinnen der Ausstellung am Heldenplatz angeboten, eine Anmeldung ist nicht notwendig.
(Infos: www.hdgö.at)
Quelle: kathpress