Schönborn: Syriens Wiederaufbau braucht Willen der Großmächte
Einmal mehr hat Kardinal Christoph Schönborn zu verstärkter Hilfe für die notleidende syrische Bevölkerung aufgerufen und dabei vor allem die Großmächte in die Pflicht genommen. In seiner Freitagskolumne in der Gratiszeitung "Heute" blickt der Kardinal auf seinen jüngsten Syrien-Besuch zurück. Inzwischen würden zwar die Waffen weitgehend schweigen, "aber von einem echten Frieden ist das Land weit entfernt".
Syrien sei geteilt zwischen den Herrschaftsbereichen der Großmächte. An ihnen läge es, endlich einen Wiederaufbau des Landes zu ermöglichen. Stattdessen würden aber die Sanktionen der USA und der EU auf dem Leben der Menschen lasten, kritisiert Schönborn: "Oft nur zwei Stunden Strom am Tag, das Brot ist rar, das Geld entwertet." Immer wieder habe er von jungen Menschen gehört: "Wir wollen weg! Wir haben hier keine Zukunft!"
Wörtlich schreibt Schönborn weiter: "Zehn Jahre lang hat dort ein mörderischer Krieg gewütet. Eine halbe Million Menschen sind ums Leben gekommen, fünf Millionen Menschen mussten flüchten, viele innerhalb des Landes, andere in die Nachbarländer, in den Libanon, nach Jordanien, die Türkei. Manche haben es bis nach Europa geschafft. Alle diese Flüchtlinge haben alles verloren. Wie es um ihre ehemaligen Wohnungen steht, konnte ich in Homs sehen: Ganze Straßenzüge sind ein einziges Ruinenfeld. Zerstörung, wohin man blickt."
Kultur des Zusammenlebens
Im Kathpress-Interview hat Schönborn dazu ergänzt, dass es für eine positive Zukunft auch unbedingt Versöhnung im Land brauche. Syrien sei immer kulturell und religiös vielfältig gewesen, "es hatte eine große Kultur des Zusammenlebens". Diese Kultur müsse wiedergewonnen werden. Und das könne nur gelingen, "wenn man das Schlimme, das geschehen ist, anspricht und dann nach vorne schaut und sagt: 'Wir wollen gemeinsam weitergehen. Wir lassen das Vergangene zurück und gehen gemeinsam in die Zukunft.'"
Er verstehe sehr gut, dass unter den derzeitigen Bedingungen kein syrischer Flüchtling zurückkehren will. Nun müssten aber zumindest alle Anstrengungen unternommen werden, "dass niemand mehr dazu gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen".
Sehr schmerzlich sei zudem die Tatsache, so Schönborn, dass rund die Hälfte der Christen das Land bereits verlassen habe. Sehr beeindruckt hätten ihn in diesem Zusammenhang die Aussagen mehrerer Muslime, dass Syrien die Christen brauche. Sie seien ein unaufgebbarer Teil der syrischen Gesellschaft.
Schönborn erinnerte in diesem Zusammenhang auch an jenen Kelch, den er bei seinem Besuch in der syrisch-orthodoxen Kathedrale in Homs erhalten hatte. Der Kelch war Raubgut. Ein Muslim entdeckte und kaufte ihn auf dem Schwarzmarkt und gab ihn der Kirche zurück. Schönborn: "Dieser Kelch ist ein Zeichen dafür, dass Muslime und Christen zusammenleben können."
Positiv beeindruckt zeigte sich der Kardinal von der Zusammenarbeit unter den vielen christlichen Kirchen im Land. In der Not - alle Kirchen hätten Opfer zu beklagen und würden unter der Armut leiden - sei man sich offensichtlich näher gekommen. Das sei auch ein Hoffnungszeichen.
Quelle: kathpress