Caritas-Direktorin: Corona rückte Armut in Mitte der Gesellschaft
Die Corona-Krise macht sich in Österreich nicht nur in gesundheitlicher und wirtschaftlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht deutlich bemerkbar. Bei der Tiroler Caritas haben sich Anfragen an die Sozialberatung verdoppelt, berichtete deren neue Direktorin Elisabeth Rathgeb am Freitagabend im Interview mit dem Talk-Format "Tirol Live" der Tiroler Tageszeitung (TT). "Die Armut hat sich dort, wo es sie schon zuvor gab, verstärkt. Sie ist aber auch weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt", so die Sozialexpertin. Viele Menschen befänden sich "am Limit", und ein Gegensteuern sei dringend notwendig.
Rund 30 Prozent jener, die in jüngster Vergangenheit zur Caritas der Diözese Innsbruck in die Beratung gekommen sind, seien davor noch nie in dieser Situation gewesen, erklärte Rathgeb. Oft würden den betroffenen Familien Nachzahlungen bei den Betriebskosten zur übergroßen Hürde, da die finanziellen Reserven aufgebraucht seien. In besonders prekärer Situation seien auch viele Langzeitarbeitslose sowie Menschen, die selbst andere pflegen. Zwar würden das soziale Netz und die staatlichen Hilfen in Österreich insgesamt sehr gut greifen. Dennoch fänden sich besonders die Menschen, die zuvor keine Hilfe in Anspruch nahmen, im "Dschungel" des Unterstützungsangebotes kaum zurecht.
Die Sozialberatung bezeichnete Rathgeb als "Erste Hilfe" in vielen dieser Fälle. Bei dieser Form der Unterstützung suchten die betroffene und die beratende Person gemeinsam nach Auswegen aus der Krise. "Erfreulich ist, dass für viele mit einem ersten Schritt nach vorne wieder Licht am Ende des Tunnels sichtbar wird. Sie merken, dass es Hilfe, Unterstützung und Begleitung über die schwierige Zeit hinweg gibt", sagte die Caritas-Direktorin. Den meisten Hilfesuchenden gelinge es dann sehr schnell, wieder selbst Fuß zu fassen und die schwierige Situation aus eigener Kraft zu überwinden.
Fokus auf junge Generation
Für ihre erst im September begonnene Amtszeit an der Spitze der Tiroler Caritas kündigte Rathgeb an, sie wolle den Schwerpunkt vermehrt auf Kinder und Jugendliche legen. Konkret sollen die Caritas-"Lerncafes", von denen es in Tirol bisher drei gibt, ausgebaut werden. Durch Begleitung von Schülerinnen und Schülern sowie auch ihrer Eltern wird bei diesen Einrichtungen darauf hingearbeitet, dass auch Kinder aus bildungsfernen Schichten die Schule gut meistern können. Forciert werden sollen auch Projekte, die Jugendlichen, die sich weder in Beschäftigung noch in Ausbildung befinden, zum Einstieg ins Arbeitsleben und in die Selbständigkeit verhelfen.
Ein neuer Standort für die Tiroler Caritas-Angebote entsteht derzeit im Innsbrucker Stadtteil Pradl, wo die Caritas, die Diözese Innsbruck und die Alpenländische Gemeinnützige Wohnbau GmbH bis Herbst 2023 ein neues Integrationshaus errichten. Bei dem Bauprojekt, für den vorige Woche der Spatenstich war, werden neben 73 Mietwohnungen - darunter auch Krisenwohnungen - 2.000 Quadratmeter im Unter- und Erdgeschoß für Initiativen der Caritas und der Diözese eingerichtet. Derzeit an verschiedenen Standorten angebotene Projekte würden hier künftig zusammengefasst, kündigte Rathgeb an.
Tirol ein Freiwilligenland
Auch den hohen Wert der ehrenamtlichen Arbeit hob Rathgeb hervor. Im Caritas-Freiwilligenzentrum böten derzeit vermehrt junge Menschen bis zum Alter von 35 Jahren sowie junge Senioren ihre unentgeltliche Hilfe an. In Tirol liegt der Anteil der Menschen, die sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagieren, mit 49 Prozent über dem Österreich-Durchschnitt von 46 Prozent. Diese Quote sei "hoch und sehr stabil", zeigte sich die Direktorin zufrieden. Allerdings beobachte sie auch ein Abnehmen von längerer Bindung an eine Organisation und eine Hinwendung zu zeitlich befristeten Projekten.
Das Ehrenamt steht derzeit im Zentrum der Tiroler Freiwilligenwoche, die diese Woche gestartet ist und noch bis kommenden Donnerstag andauert. Die von vielen Hilfswerken getragene Initiative mit über 100 Einsatzorten und -organisationen in allen Bezirken des Bundeslandes will Menschen "Lust machen, in das Ehrenamt zu schnuppern", sagte Rathgeb. Die konkreten Projekte reichen "vom Knödelkochen mit suchtkranken Menschen und dem Rikschafahren mit Senioren über ein Herzkissennähen für Menschen im Krankenhaus bis zum Defibrillator-Kurs beim Roten Kreuz".
Quelle: kathpress