Zulehner: Durch synodalen Prozess zu mehr Vielfalt in der Einheit
Wie wird die Katholische Kirche 2030 aussehen, wenn der vom Papst ausgerufene weltweite synodale Prozess "super läuft"? Auf diese Frage hat der Wiener Theologe Paul Zulehner in einem Interview der Salzburger Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen (dieswöchige Ausgaben) die Vision von mehr Vielfalt, Dezentralität und "Ungleichzeitigkeit" in der Weltkirche skizziert: In Europa und Nordamerika werde sich die Kirche aufgrund der dort fortgeschrittenen Modernität anders entwickeln und auf Fragestellungen eingehen als etwa in Lateinamerika oder Asien. "Denn der Uniformismus führt zur Stagnation und macht die Kirche in der heute diversen Welt handlungsunfähig", warnte Zulehner.
Das "Kunstwerk" des heuer im Oktober beginnenden und mit einer Weltbischofsversammlung im Herbst 2023 beendeten zweijährigen synodalen Prozesses wird laut dem Theologen sein: "Wie bekommt man die Vielfalt der Kulturen, die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Entwicklung so zusammen, dass man die Einheit nicht preisgibt?" Die Lösung wäre aus seiner Sicht wie in der Ökumene eine "versöhnte Verschiedenheit, nicht der Einheitsbrei, der Uniformismus, sondern die Anerkennung der Unterschiedlichkeit". Im gemeinsamen Gehen, Beten und Arbeiten wachse dann die der Welt geschuldete Einheit der Kirche, zeigte sich Zulehner optimistisch. "Das ist meines Erachtens eine der großen Chancen für die katholische Weltkirche, dass sie die Vielfalt und die Einheit in einem Organisationsmodell realisieren kann."
Unbedingt erforderlich ist nach den Worten Zulehners eine Weiterentwicklung des Kirchenrechts als Konsequenz des synodalen Prozesses, "das kann nicht so bleiben, wie es jetzt ist". Es gelte neue Weichenstellungen vorzunehmen, "was die Mitsprache aller betrifft, wie Entscheidungen getroffen werden". Es dürfe nicht geschehen, dass jetzt wieder - wie von Franziskus gewünscht - viele mitsprechen können und Entscheidungen vorbereiten, "aber dann die, die entscheiden, völlig ungebunden und frei wären zu entscheiden, als hätte es den Meinungsbildungsprozess in der Breite des Kirchenvolks nicht gegeben". Dann hätten alle recht, die dem Papst vorwerfen, er würde nur schöne Wörter sprechen, so Zulehner.
Fähiger zum "Sich-Einmischen" werden
Dem Einwand der Kirchenzeitungsredaktion, wonach viele in der Kirche "müde", seien, erneut ihre Anliegen in den vielen Strukturprozessen zu deponieren und dann doch zu merken, "dass wenig in Bewegung kommt", begegnete der Theologe mit dem Hinweis: "Entscheidend scheint mir, dass es nicht nur um Teilthemen geht, sondern um das gesamte Wesen der Kirche." Eine dem Evangelium entsprechende Reich-Gottes-Bewegung im Sinne Jesu werde weniger von Strukturen geprägt sein, sondern eine Kirche, "die sich wieder besinnt, eine Bewegung zur Veränderung der Menschheit und zur Verbesserung der Lage der Menschheit zu sein". Und dies täte dringend Not, verwies Zulehner auf Klimakrise, ökonomische Ungerechtigkeiten und Migration als brennende Themen. "Wenn sich die Kirche da jetzt nicht angemessen einmischen kann und glaubwürdig ist, dann verrät sie ihren Grundauftrag, den sie von Jesus her hat, nämlich Salz der Erde und Licht der Welt zu sein."
Zum Papstprojekt Kurienreform, um die es zuletzt still geworden ist, meinte der Wiener Theologe und Religionssoziologe, sie sei "weiter vorangeschritten ... als man merkt". Der Finanzbereich im Vatikan, wo es große Missstände gegeben habe, sei "relativ gut neu strukturiert" worden. Verdienste habe sich dabei die "K9", die den Papst beratende Gruppe der Kardinäle aus verschiedenen Teilen der Welt, erworben, weitere große Entscheidungen müssten jetzt auf Basis des synodalen Prozesses fallen. Die Kirche habe, anders als moderne Staaten, keinen "Ministerrat", wies Zulehner hin. "Jedes Dikasterium arbeitet für sich, sie beraten nicht mit dem Papst gemeinsam das Schicksal der Kirche", bemängelte er. Hier müsse sich fundamental etwas ändern. "In diesem Zustand kann die katholische Kirche nicht wirklich fruchtbar aktiv sein."
Auch das jüngste Buch des 81-jährigen emeritierten Professors für Pastoraltheologie ist dem synodalen Prozess gewidmet: Paul Zulehners "Eine epochale Reformchance. Zum Synodalen Weg der katholischen Weltkirche" erschien im Patmos-Verlag und kostet 19,60 Euro.
Quelle: kathpress